Sanierungsplan in Griechenland: EU über Griechen verstimmt
Griechenlands Finanzminister Venizelos bestreitet, dass die Verhandlungen mit der Troika ins Stocken geraten sind. Das glaubt ihm aber niemand.
ATHEN taz | "Gerüchte über eine Unterbrechung der Verhandlungen, ja sogar über einen Streit mit der Troika haben mit der Realität nichts zu tun", erklärte der griechische Finanzminister Evangelos Venizelos am Freitag in Athen vor der Presse.
Zuvor war bekannt geworden, dass die Verhandlungen ins Stocken geraten waren und bis auf Weiteres ausgesetzt wurden. "Das stimmt alles nicht" beteuerte der Finanzminister. Zwar seien die Finanzexperten abgereist, aber sie kämen in zehn Tagen wieder, und das sei auch im Voraus so abgesprochen worden. Es laufe alles nach Plan.
Da waren viele Pressevertreter zunächst überrascht und konnten gar nicht verstehen, warum sie eilig ins Finanzministerium einberufen wurden, wenn angeblich alles nach Plan läuft. Aber sie kennen ja Venizelos. Der gewiefte Jurist und Politiker gilt als Meister der Rabulistik, der gern zwischen den Zeilen spricht, Seitenhiebe erteilt und überzeugend auf Fragen antwortet, die niemand gestellt hat. Nicht umsonst erklärte er auf der Pressekonferenz, die Regierung müsse vor allem das Wohl des Volkes im Auge behalten. Dabei seien nicht nur technische Vorarbeit, sondern auch wichtige politische Entscheidungen nötig.
Erst am Freitagnachmittag meldete sich die Troika zu Wort und stellte in einer Presseerklärung klar, dass sie vorübergehend Athen verlasse, "damit die griechische Regierung ihre technische Vorarbeit im Zusammenhang mit den Strukturreformen und dem Haushaltsentwurf 2012 zu Ende bringt". Das kann man auch so verstehen, dass Finanzminister Venizelos im Moment eher unvorbereitet in die Gespräche geht; nach einer im Voraus geplanten Abreise der Troika klingt das alles jedenfalls nicht.
Die Verhandlungspause verstärkt den Druck auf die griechische Regierung, denn "im Moment reicht das Geld nur bis Ende September", wie man in Athen unter vorgehaltener Hand berichtet. Vor allem mit Privatisierungen und Arbeitsmarktreformen ist man wohl im Rückstand, die Sparziele werden offenbar auch nicht erreicht. Wegen der Rezession erwarten Finanzexperten ein Minus von über 8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für 2011, das Ziel war: "nur" 7,6 Prozent. Erst in zwei Wochen sollen konkrete Zahlen auf den Tisch, berichtete Finanzminister Venizelos.
Dass die desolate Finanzlage auch viel Streit mit sich bringt, zeigte sich bereits an diesem Donnerstag: Alle Mitglieder eines formal unabhängigen "Haushaltsbüros" im griechischen Parlament mussten zurücktreten, nachdem sie in einem Bericht erklärten, Griechenland werde Ende 2011 eine Defizitquote von knapp 9 Prozent aufweisen und die Schulden würden allmählich außer Kontrolle geraten.
"Eine Unverschämtheit" sei die Entlassung der Finanzexperten, monierte die linksliberale Tageszeitung Eleftherotypia. Finanzminister Venizelos sieht es anders: Für seine Texte muss man auch Verantwortung übernehmen können, erklärte er am Freitag.
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