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Sandsturm weht über AutobahnAcht Tote bei Massenkarambolage

"Der schlimmste Verkehrsunfall, den Mecklenburg-Vorpommern je erlebt hat", stellt die Polizei fest. Eine Sandwehe verursacht auf der A19 einen Karambolage, in die etwa 110 Menschen verwickelt sind.

Völlig ausgebrannte Autowracks an der Anschlussstelle Rostock-Laage. Bild: dapd

KAVELSDORF dpa | In einem Sandsturm, bei extrem schlechten Sichtverhältnissen von weniger als zehn Metern, rasen am Freitagmittag bei Rostock Autos auf der A19 ineinander. Mindestens acht Tote sind zu beklagen. Auch Stunden nach dem Unfall kann sich deren Zahl noch erhöhen, unter einem ausgebrannten Lastwagen ist noch ein Auto eingeklemmt, möglicherweise liegen noch ein oder mehrere Fahrgäste darin. Insgesamt sollen von dem Unfall etwa 110 Menschen betroffen sein, wie viele verletzt sind und wie schwer ihre Verletzungen sind, ist am Freitagabend noch nicht zu überschauen.

"Das ist der schlimmste Verkehrsunfall, den Mecklenburg-Vorpommern je erlebt hat", sagt Polizeisprecherin Yvonne Burand. Es ist gleichzeitig der schwerste Verkehrsunfall seit 20 Jahren in Deutschland. Ein Augenzeuge spricht, spürbar geschockt, von "einem nie gesehenen Chaos".

Im Sekundentakt knallen die Fahrzeuge mit ohrenbetäubendem Lärm auf die vor ihnen stehenden Autos, schieben sie ineinander. Am Ende sind es rund 80 Wagen, die auf der Straße liegen bleiben. Davon sind drei Lastwagen, einer auch noch ein Gefahrguttransporter.

Wie der Unfall begann, ist zunächst kaum fassbar und schwierig zu ermitteln. Augenzeugen berichten von einer regelrechten Wand, als sie in eine leichte Senke hinter einem Waldstück hineinfuhren. Ein Sturm, der seit der Nacht über den Norden Mecklenburg-Vorpommerns fegte, hatte Unmengen Sand von den umliegenden kahlen Feldern aufgewirbelt und über die Autobahn geweht. Auf der Fahrbahn liegen regelrechte Sandwehen. In beiden Fahrtrichtungen krachen die Autos ineinander. An der Unfallstelle herrscht kein Tempolimit.

Dann beginnen Fahrzeuge zu brennen. Auch der Gefahrguttransporter, der umgekippt ist, fängt Feuer. Unter dem tonnenschweren Fahrzeug sind weitere Autos eingeklemmt. Was der Laster geladen hat, ist erst einmal nicht bekannt. "Kohlenwasserstoffe", heißt es zunächst, also Mineralölprodukte wie etwa Benzin. Die Menschen, die Richtung Berlin fahren, haben Glück. Sie bleiben von dem Feuersturm verschont.

Nach Abschluss der Löscharbeiten bietet sich den Helfern ein Bild des Grauens. Polizistin Burand ringt nach Worten: "Man weiß nicht, wo das eine Wrack anfängt und das andere aufhört." Die Toten sind auch Stunden danach nicht identifiziert, sie lagen teilweise stundenlang in den Wracks. Viele Verletzte müssen in umliegenden Krankenhäusern behandelt werden.

Mehrere hundert Rettungskräfte sind im Einsatz, sie sind aus den Kreisen Güstrow und Bad Doberan sowie der Hansestadt Rostock zusammengezogen worden. Rettungswagen verlassen im Minutentakt die Unfallstelle, insgesamt sollen sechs Hubschrauber im Einsatz gewesen sein. Die Arbeit der Retter wird stundenlang durch beißenden Sand behindert. Sie müssen Schutzmasken tragen, um überhaupt atmen zu können. Bauern rücken an und sprühen Wasser und Gülle auf die angrenzenden Felder, um den trockenen Sand zu binden.

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6 Kommentare

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  • G
    Gerold

    Ursache sind unter den Pflug gekommene Hecken und Knicks an und auf 'Großschlägen', dem Ertrag geschuldet, aber die ungebremste Raserei auf Deutschlands Straßen - Deutschland, das Land, im dem eben (fast) alles möglich ist.

    In diesem Zusamenhang von Naturkatastrophen zu sprechen

    ist schon sehr zynisch

  • VF
    Volle Fahrt

    ...voraus. Für freie bürger gibt's kein tempolimit.

    Wenn's dann vorne kracht,bibt's kein halten mehr.

    Hab ich selbst erlebt auf der elbbrücke hamburg.

  • RJ
    Riga, Josef

    Der Unfall zeigt: Autofahrer sind nicht reif für den Umgang mit der gefährlichen Technik, die ihnen überlassen wurde. Die A 19 ist eine dieser deutschen Todesfallen, wo unbeschränkt "geheizt" werden darf. Ohne Sinn und Verstand. Dass Leute bei Fast-Null-Sichtweise mit mehr als 150 Sachen unterwegs sind, ist dort Normalfall. es beweist, dass viele Menschen jedes Gefahrenbewusstsein am Steuer eines bequemen Autos verlieren. Hier hilft nur "abrüsten". Tempo 100, auch wenn die Sonne scheint, und zur Erzwingung der Befolgung- sorry für das Beamtendeutsch- feste Radareinnahmestellen.

  • A
    Autofahrer

    Ich seh Claudia Fatima Roth schon ein Fläschchen Wein aufmachen. Mal schauen wie die Grünen diese Tragödie ausschlachten werden.

     

    Freie Fahrt für freie BürgerInnen!!!

  • K
    kakadu

    Dieser Unfall illustriert erschreckend genau den ganzen Hysterie Wahnsinn in diesem Land. Während die Geigerzähler schon alle ausverkauft sind, fahren sich die Menschen mit dem Auto gegenseitig zu Tode. Jeden Tag, überall in Deutschland!

    Weder bin ich zynisch, noch habe ich kein Mitgefühl mit den Opfern von Autounfällen. Im Gegenteil.

    Wieviele Menschen sind als Folge von Tschernobyl ums Leben gekommen und wieviele sind es weltweit im täglichen Strassenverkehr? Man soll keine Toten gegeneinander aufrechnen; nun, dann darf man aber auch nicht vom Risiko sprechen. Das Risiko, ums leben zu kommen im täglichen Strassenverkehr, ist für einen Menschen auf diesem Planeten um ein vielfaches höher als an den folgen eines AKW's Unfall zu sterben. Das ist leider schlicht die Wahrheit.

  • J
    jan

    wenn man sieht, mit welchen "abständen" auf autobahnen gefahren wird, wundert man sich überhaupt nicht...