: Sagenumwobenes Phantom
■ Gesprenkeltes Programm am Ernst-Deutsch-Theater
Es ist ein bisschen problematisch – das Motto „Theater für alle“. Denn wer ist das: alle; wer fühlt sich überhaupt angesprochen durch eine solche Parole, die dem Ernst-Deutsch-Theater seit der vorletzten Spielzeit als Maxime dient; besteht auch nur die geringste Chance, es „allen“ recht zu machten? Oder ist mit „alle“ vielmehr jene diffuse Masse gemeint, die sich publikumsferne Theatermacher in ihrer Einsamkeit darunter vorstellen? Ist der berühmte Durchschnitts-Theaterbesucher gar ein von Theaterprogrammplanern erschaffenes, lieb gewonnenes Phantom?
Pressesprecher Reimer Koch vom Ernst-Deutsch-Theater glaubt, dass Antworten auf diese Fragen nur das Experiment erbringen kann – und entsprechend ist das Programm für die kommende Spielzeit auch gestaltet: als Mischung solider Stücke eines konsensfähigen Bildungskanons, der von Molières Geizigem über Shakespeares Romeo und Julia bis zu Albees Wer hat Angst vor Virginia Woolf reicht. Skylight von David Hare ist noch dabei und Gin Rommé von Donald L. Coburn – immer wieder Beziehungskisten in allen Varianten also.
Aber all dieses – ist es nicht arg statisch, kann der heutige, auch nur durchschnittlich abgebrühte Beziehungserfahrene solche Themen noch als wahrhaft dramatisch empfinden und eventuell atemlos mitfiebern? „Wir bedienen das etwas gesetztere Publikum ab Mitte 40“, sagt Koch dazu, der weder von „Super-Experimenten“ noch von „super-intellektuellen“ Stücken besonders viel hält. Da nimmt sich Charles Dyers zur Spielzeit-Eröffnung geplante Schwulen-Komödie Unter der Treppe schon wie eine mittlere Revolution aus, von der auch niemand weiß, wie sie ausgeht.
Ein absehbareres Resultat werden jene Münchner Lach- und Schießgesellschaft- und Leipziger Pfeffermühle-Darbietungen zeitigen, die – neben einer Tucholsky-Lesung und einer Gedenkveranstaltung zugunsten der Opfer des Nationalsozialismus – innerhalb der Reihe „Bühne frei“ präsentiert werden. Und dann gibt's natürlich noch die Studio-Matineen, in denen man den Pfiffigkeiten des Wilhelm Busch und den Gedankenspielen des Sokrates – in der Verteidigungsrede nach Platon lauschen kann – für den Fall, dass man mal mit bösen Buben, Schierlingsbechern oder anderen Widrigkeiten konfrontiert werden sollte...
Petra Schellen
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