Safe Places in Berlin: Keine Sicherheit für Obdachlose

Die Idee der „Safe Places“ weckte 2019 die Hoffnung, Obdachlosen etwa an der Rummelsburger Bucht helfen zu können. Die Pandemie macht das unsicher.

Tiny Houses (Symbolbild) für Obdachlose? In Berlin dauert das wohl noch Foto: dpa

„Viele wohnen hier, weil sie nicht mehr integrierbar sind.“ Die junge Frau mit bunt gefärbten Flechtzöpfen sitzt auf einer ausrangierten Couch und dreht sich gerade eine Zigarette. Ihren Namen will sie nicht sagen, aber für die Zeitung könne sie Jacky genannt werden. „Die wollen das auch nicht“, führt Jacky weiter aus und schließt sich selbst damit ein: „Ich schlaf lieber unter freiem Himmel.“

Jacky ist eine Bewohner*in des Obdachlosencamps an der Rummelsburger Bucht. Das Camp liegt am Rande einer Brache, auf der später einmal das umstrittene Aquarium „Coral World“ entstehen soll. Wie viele Menschen in dem Camp wohnen, ist unklar, es sollen aber weit über hundert sein.

Hier leben vor allem Außen­sei­ter*innen, die keinen Platz in der Mehrheitsgesellschaft haben oder wollen, aber auch polnische, bulgarische und rumänische Obdachlose, die meist keine Hilfsansprüche in Deutschland haben. Trotz der unterschiedlichen Gruppen schätzt Jacky den Zusammenhalt im Camp: „Die Leute passen aufeinander auf.“

Obwohl das Camp stellenweise wie ein kleines Dorf wirkt, fehlt es an Grundlegendstem: Weder Trinkwasser, Duschmöglichkeiten noch Toiletten stehen den Bewohner*innen zur Verfügung. Lediglich ein Müllcontainer, der ab und an geleert wird, steht noch auf der Brache. Die hygienischen Zustände verschlechtern sich zunehmend, mittlerweile haben die Bewohner*innen mit einer Rattenplage zu kämpfen.

Seit Jahren ringen der Senat und der Bezirk Lichtenberg um den richtigen Umgang mit dem Camp. 2018 sollte es mitten im Winter geräumt werden, was einen medialen Aufschrei zur Folge hatte. Der Bezirk schwenkte um und versorgte es mit Toiletten und einem Heizzelt. Die Bewohner*innen sollten von Sozialarbeiter*innen in Wohnungen vermittelt werden.

Coral World Gegen das Aquarium und den zugehörigen Bebauungsplan „Ostkreuz“ hatte es massive Proteste gegeben, allerdings vergeblich – im Mai vergangenen Jahres beschloss die Bezirksverordnetenversammlung den Bebauungsplan.

Baubeginn Wann Coral World beginnen will, zu bauen, ist unklar – noch ist nicht einmal ein Bauantrag eingegangen. Die Gegner*innen hoffen derzeit, den B-Plan mit rechtlichen Mitteln noch zu kippen: vor allem sei der Naturschutz nicht ausreichend beachtet worden.

Notunterkunft, nein danke Die Gründe, aus denen viele Obdachlose nicht in Notunterkünften übernachten können und wollen, sind vielfältig: Dahinter stecken oft psychische Probleme, Suchtkrankheiten, eigene Haustiere, individueller Freiheitsdrang oder auch die gefestigte Gemeinschaft im Camp. (jowa)

Dies gelang nur in wenigen Fällen, dafür zogen im Sommer 2019 immer mehr Leute auf die Brache. Im folgenden Winter wurde auf die Bereitstellung dringend benötigter Infrastruktur verzichtet. Stattdessen wurde den Bewohner*innen eine Unterkunft in Karlshorst angeboten, in der sie den Winter verbringen konnten. Ein Teil der Bewohner*innen nahm das Angebot an, die meisten blieben aber im Camp.

Selbstbestimmt leben

Für obdachlose Menschen, für die Notunterkünfte aus verschiedensten Gründen nicht infrage kommen, ist es bisher traurige Realität, von einem Platz zum nächsten vertrieben zu werden. Spätestens, wenn der Eigentümer Coral World hier anfangen will zu bauen, wird auch das Camp an der Rummelsburger Bucht geräumt.

Im vergangenen Jahr brachte Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) den Vorschlag ein, sogenannte „Safe Places“ für Obdachlose zu errichten. Das in den USA in Städten wie ­Seattle erprobte Konzept sieht vor, obdachlosen Menschen gesicherte und mit der nötigen Infra­struktur ausgestattete ­Flächen bereitzustellen. Dort könnten sie in Zelten oder „Tiny Houses“ selbstbestimmt leben; ­Alkohol- und Drogenkonsum sowie Haustiere wären erlaubt; zudem stünden Hilfsangebote durch Sozialarbeiter*innen bereit. Der Vorschlag wurde von mehreren in der Straßensozial­arbeit ­tätigen Trägern positiv aufgenommen; auch für das Camp an der Rummelsburger Bucht war eine „Safe Place“-Ersatzfläche als vielversprechender Lösungsvorschlag im Gespräch.

Über ein Jahr später ist die Umsetzung noch nicht weit vorangeschritten: „Die zu Beginn des Jahres aufgenommenen Planungen sind aufgrund der pandemischen Entwicklung ausgesetzt worden“, so Stefan Strauß, Pressesprecher der Senatsverwaltung für Soziales, auf taz-Anfrage. Im Bezirk Lichtenberg wurden zwar schon mehrere Flächen geprüft, bisher allerdings ohne Erfolg. Corona erschwere die Suche zusätzlich, erklärt Stadtrat Kevin Hönicke (SPD): „Die aktuelle Pandemie erhöht die Ansprüche an Gesundheits- und Hygienekonzepte.“

Akzeptanz in der Nachbarschaft

Doch auch abseits der schleppenden Umsetzung gibt es Zweifel am Konzept. Juri Schafranek vom Träger Gangway sieht viele ungeklärte Fragen: „Wer bestimmt, wer auf den Platz darf und was die Menschen dort tun dürfen?“ Im Endeffekt müsse man wieder ordnungspolitisch tätig werden, was viele Obdachlose abschrecke, so Schafranek. Probleme sieht er auch beim Finden geeigneter Flächen. Die müssten einerseits zentral genug sein, andererseits aber auch die nötige Akzeptanz in der Nachbarschaft bekommen. „Da ist etwas in Umlauf gebracht worden, was praktisch gar nicht umsetzbar ist“, vermutet Schafranek.

Bucht-Bewohnerin Jacky hat hingegen einen eigenen Vorschlag für die Zukunft des Camps: „Die Brache sollte ein anerkannter autonomer Platz werden.“ Coral World bräuchte hingegen niemand. „Man könnte hier so viel machen, wenn man uns lässt.“

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