: Safaris in die Savanne
Ludwig Kohl, 1884 geboren, war Arzt lediglich von Beruf. Als Berufung empfand er es, als Forscher und Reiseschriftsteller um die Welt zu reisen. Seine Expeditionen führten ihn nach Mesopotamien, in die Südsee und an den Nordpol. Von 1916 bis 1918 arbeitet Kohl als Militärarzt im Irak, in Persien und der Türkei.
Bei einer Antarktisexpedition lernt er seine spätere Ehefrau und Reisegefährtin, die 1891 geborene Norwegerin Margit Larsen, kennen. 1926 zieht die mittlerweile vierköpfige Familie nach Deutschland um. Um mit ihrem Sohn Per eine Kaffeeplantage aufzubauen, reisen die Kohl-Larsens 1932 nach Tansania, damals „Tanganyika Territory“: Seit dem Ersten Weltkrieg zählt die einstige deutsche Kolonie zum britischen Mandatsgebiet.
Unter anderem finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, unternimmt das Ehepaar Kohl-Larsen zwischen den Jahren 1934 und 1939 zwei mehrjährige Expeditionen durch den ostafrikanischen Grabenbruch. Sie suchen vor allem nach den letzten Wildbeutern der Savanne, den Hadzabe. Ludwig Kohl-Larsen nennt sie Tindiga, – „die da laufen“ –, weil sie ängstlich davonrennen, sobald sie Fremde sehen.
Auch die benachbarten Hirten- und Hackbauernvölker, die Isanzu und Iraku, die Sukuma und Iramba, werden von dem Deutschen ethnologisch erforscht. Margit Kohl-Larsen widmet sich archäologischen Grabungen, sucht nach den Spuren der „Vormenschen“ – und findet tatsächlich Schädelreste eines Australopithecus.
Lange also ehe das britische Anthropologenehepaar Mary und Louis Leakey 1959 offiziell für den ersten Affenmenschenfund auf dem afrikanischen Kontinent gefeiert wird. Ludwig Kohl-Larsen zog nicht nach Ostafrika, um rassenkundliche Theorien zu belegen, sondern um fremde Länder und Menschen zu erforschen. Dennoch bleibt er rückblickend eine zwiespältige Figur: 1931 wird er Mitglied der NSDAP, aus der er, obwohl mit deren politischen Zielen schon bald nicht mehr einverstanden, nicht mehr austreten wird.
Nach der Rückkehr aus Tansania wird Kohl-Larsen 1941 kurzzeitig Professor für Völkerkunde an der Universität Tübingen. Nach dem Krieg im Entnazifizierungsverfahren als „Mitläufer“ eingestuft, verliert er seine Lehrbefugnis und bekommt später im Wissenschaftsbetrieb nie wieder einen Fuß auf den Boden. Ludwig Kohl-Larsen stirbt, verbittert und verarmt, 1969 am Bodensee. Margit Kohl-Larsen überlebt ihn um mehr als zwanzig Jahre.
Kohl-Larsens Schriften lassen ihn als zwiespältig erscheinen: Einerseits war er von der Überlegenheit der weißen Rasse überzeugt. „Verbrüderungsgedanken“, „pazifistische Anwandlungen, die in Oxford ihre Geburtsstätte haben“, hielt er für fatal. Und im Umgang mit den sechzig Arbeitern, die seine Expeditionskisten durch die Dornbuschsteppe schleppten, hielt er „einen Hieb mit der Nilpferdpeitsche“ zur rechten Zeit für angebracht.
Und doch ließen gerade seine Afrikareisen ihn an den mitgebrachten Herrenmenschenideologien zweifeln: „Sind nicht die Mütter aller Rassen gleich, wenn sie ein geängstigtes Kind an die Brust drücken?“ Diesen Satz schreibt er angesichts stillender Hadza-Frauen in sein Expeditionstagebuch. Auch seine Fotos und Filme zeugen von einer Begegnung mit ihm fremden Menschen weitgehend auf gemeinsamer Augenhöhe.
Das Ostafrika-Filmmaterial Kohl-Larsens wird 1941 zur Lehrfilmen für die Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht verarbeitet. Es sind ethnologisch beschreibende Filme mit Titeln wie: „Die Landschaft und ihre Bewohner“; „Die Tindiga als Jäger“.
Die Filme geraten in Vergessenheit, einige Kopien lagern, verstaubt, zersplittert, in einer Kiste an der Tübinger Universität – bis sie 1997 anlässlich einer Ausstellung wiederentdeckt, 1999 vom Südwestrundfunk restauriert und im Sommer 2000 zurück nach Tansania gebracht werden.
Die Hadzabe leben, noch rund tausend an der Zahl, im Norden Tansanias, in den unwirtlichen Tiefebenen und Hügeln östlich und südwestlich des Eyasi-Salzsees: hundert Kilometer nördlich die Grenze zu Kenia und somit die Serengeti; rund fünfzig Kilometer östlich liegt der populäre tansanische Ngoro-Ngoro-Wildtierpark.
Die Hadzabe sind das kleinste der rund 130 Völker Tansanias. Und das am wenigsten angesehene. Im heutigen Tansania wird die schlichte Lebensweise der nomadisch umherwandernden Jäger und Sammlerinnen als unzeitgemäß und unwürdig abgelehnt. Ihre Existenz ist bedroht: Vom kontinuierlichen Prozess der Vertreibung ostafrikanischer Nomaden aus ihren angestammten Gebieten sind nicht nur Hirtenvölker wie die Massai und die Datoga, sondern auch die Hadzabe betroffen. Wildtiere haben in Tansania eine bessere Lobby als die Menschen.
Die Hadzabe sprechen eine ureigene Klicklautsprache. Und das heißt: Einen Film bei den Hadzabe zu drehen, Interviews mit Jägern und Sammlerinnen zu führen bekommt etwas von „Stiller Post“. Drei Sprachgrenzen mussten die deutsche Filmemacherin, der britische Ethnologe und der Hadza-Übersetzer überbrücken. Was kommt da am Ende der Übersetzungskette – Klicklaut, Kisuaheli, Englisch und retour – heraus?
Unter Umständen ein schöner Film! Oder auch zwei: Der TV-Sender Phoenix strahlt beide Filme der Autorin aus: Die Bilder der Ahnen kehren zurück nach Tansania (Montag, 20. August, 20.15 Uhr; Dienstag, 21. August, 10 Uhr); Hadzabe heißt: Wir Menschen (Dienstag, 21. August, 20.15 Uhr, Mittwoch, 22. August, 10 Uhr).
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