Sachverständigenrat zu Migrationspolitik: Zwischen Restriktion und Öffnung
Der Sachverständigenrat Migration lobt die GEAS-Reform und das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Allerdings gibt es auch Kritik im Jahresgutachten.
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Die Expert:innen analysieren die Migrationspolitik der Bundesregierung seit 2019, beurteilen Entscheidungen und geben Handlungsempfehlungen. Ihr Bericht konstatiert grundsätzlich, dass die Arbeitsmigration nach Deutschland offener gestaltet wurde, während die Fluchtmigration restriktiver behandelt wurde.
Die Polarisierung in der Debatte um Migrationspolitik und auch deren Verschiebung nach rechts hat in den vergangenen Monaten noch weiter zugenommen. So forderten zuletzt auch SPD-Politiker mehr Abschiebungen. Zudem beschloss die Bundesregierung strengere Maßnahmen wie die Bezahlkarte für Geflüchtete.
Die polarisierte Diskussion wird vom Vorsitzenden der Kommission, Hans Vorländer als „Problem für die politische Lösungsfindung“ beschrieben. „Migration lässt sich nicht durch das Drehen einer Stellschraube beenden oder eindämmen.“
Zu den migrationspolitischen Kursänderungen der vergangenen Jahre zählen auf europäischer Ebene die Einführung des umstrittenen Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) und des Solidaritätsmechanismus sowie in Deutschland das sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht und das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Der Sachverständigenrat unterstützt die Einführung von GEAS, da es die Handlungsfähigkeit der EU in der Migrationspolitik erhöhe. Mit Einführung der verschärften Asylreform wird die Mehrheit der Asylsuchenden in haftähnlichen Lagern an der EU-Außengrenze auf die Entscheidung über ihre Anträge warten müssen. Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl und Ärzte ohne Grenzen kritisierten die GEAS-Reform scharf: Sie führe zu Abschottung und einem Ausbau der Lagerstrukturen sowie zu immer gefährlicheren Fluchtrouten.
Der Sachverständigenrat mahnt an, dass die Asylsuchenden an den Außengrenzen tatsächlich dauerhaft Zugang zu unabhängiger Rechtsberatung haben müssten. Das liege in der gemeinsamen Verantwortung der EU-Mitgliedsstaaten. Zudem müsse es eine angemessene Unterbringung, vor allem besonders schutzbedürftiger Menschen wie Minderjähriger, geben. Und lange Aufenthaltszeiten in den Lagern sollten vermieden werden.
Abkommen mit Drittstaaten
Auch um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, attestiert der Sachverständigenrat Abkommen mit Drittstaaten großes Potential. „Es braucht legale Wege, um nach Deutschland zu kommen. Das kann auch Asylanträge reduzieren“ sagt Panu Poutvaara, Mitglied des Rats. Migrant:innen könnten dann etwa über Arbeitsvisa einreisen.
Die Wohnsitzauflage für Geflüchtete kritisiert der Rat. Sie erschwere den Einstieg in den Arbeitsmarkt, da bei der Verteilung der Geflüchteten nicht die wirtschaftliche Situation einer Kommune beachtet werde. Auch die Unterscheidung in Arbeits- und Fluchtmigration wurde etwas aufgeweicht, da manche geduldete Geflüchtete als Fachkraft anerkannt werden können, wenn sie ihren Asylantrag zurückziehen – was der Sachverständigenrat aber unterstützt.
Bessere Anerkennung von Abschlüssen
Die Expert:innen loben auch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz und die damit verbundene Öffnung des Arbeitsmarkts für Personen, die keine „nach deutschen Standards anerkannte Qualifikationen“ nachweisen können. Kritik übt das Gremium aber an der gesetzlichen Umsetzung und wie kompliziert diese sei. Die Einwanderung von Fachkräften werde so eher erschwert als vereinfacht, vor allem in Kombination mit überarbeiteten Behörden.
Dabei könnte die Anerkennung von nicht in Deutschland erworbenen Qualifikationen auch zu einer Eindämmung des hiesigen Lehrkräftemangels führen, betont Havva Engin, Mitglied des Rats. Damit könnten auch Kinder und Jugendliche, die neu in Deutschland sind, besser Zugang zu Sprach- und Betreuungsplätzen bekommen.
Der Sachverständigenrat veröffentlicht jährlich einen Bericht zu Migration und Integration in Deutschland, jedes Mal mit einem anderen Schwerpunkt. 2023 wurde der Zusammenhang von Klimawandel und Migration untersucht. Der Rat besteht aus neun Wissenschaftler:innen aus verschiedenen Fachrichtungen, darunter Politik- und Erziehungswissenschaft, VWL und Psychologie.
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