Sacharow-Preis des Europaparlaments: Der verschmähte Brückenbauer
Der chinesisch-uigurische Wirtschaftsprofessor Ilham Tohti bekommt in diesem Jahr Europas wichtigsten Menschenrechtspreis. Er sitzt in Haft.
„Seit mehr als zwei Jahrzehnten setzt er sich unermüdlich dafür ein, den Dialog und die Verständigung zwischen Uiguren und den Völkern Chinas zu fördern“, erklärte das Parlament auf seiner Webseite. „Trotz allem, was ihm widerfahren ist, spricht er sich nach wie vor für Mäßigung und Versöhnung aus.“
Der aus Chinas westlichster Provinz Xinjiang stammende Professor der Nationalitäten-Universität in Peking sitzt seit September 2014 eine lebenslange Haftstrafe ab – mutmaßlich in einem Gefängnis der Provinzhauptstadt Urumqi. Denn wie seine im US-Exil lebende Tochter Jewher Ilham jetzt der taz sagte, kann ihn seine Familie seit 2017 nicht mehr kontaktieren.
Ilham Tohti wurde verurteilt wegen „Separatismus“ und der „Förderung der Gewalt“, ein Vorwurf, den Beobachter absurd finden. Denn wie kein Zweiter bemühte er sich um den Dialog zwischen Han-Chinesen, dem muslimischen Turkvolk der Uiguren und anderen Ethnien in China.
Gegen die Marginalisierung der Uiguren
Die 10 Millionen Uiguren, die fast alle in Xinjiang leben und einst dort die Mehrheit stellten, sind in der rohstoffreichen Provinz zunehmend marginalisiert. Tohti wies früh darauf hin, dass sich China Probleme schaffe, wenn die Früchte des Wirtschaftsbooms so ungleich zwischen den Ethnien verteilt seien. Denn er forschte zum Verhältnis zwischen Uiguren und anderen Volksgruppen und informierte auf einer Webseite.
„Als uigurischer Intellektueller fühle ich sehr stark, wie die Kluft und das Misstrauen zwischen den Uiguren und den Han-Chinesen jeden Tag größer wird, vor allem in der jüngeren Generation. Arbeitslosigkeit und Diskriminierung entlang ethnischer Linien haben zu verbreiteter Feindseligkeit gefühlt“, schrieb er in einem Text, den die taz im Mai 2014 dokumentierte.
Mit seinem Willen zur Verständigung widerspricht er einer radikalen Minderheit der Uiguren, die sich islamistischen Gruppen im In- und Ausland anschlossen und mehrere Attentate auf Han-Chinesen verübten. Diese Angriffe nahm China zum Vorwand für die massive Repression und Zwangsassimilation der Uiguren.
Mehr als eine Million Uiguren sind in Lagern gefangen
Laut UN sitzen mehr als eine Million Uiguren in Lagern. Dort dürfen sie nur chinesisch sprechen, müssen der KP die Treue schwören und Schweinefleisch essen. China hat die Existenz der Lager lange verleugnet, inzwischen spricht Peking von „Bildungseinrichtungen“, US-Politiker sprechen dagegen von „Konzentrationslagern“. Schon vorher war Uiguren während des Ramadan das Fasten und Jugendlichen das Beten in Moscheen verboten worden.
Das Europaparlament verdient Respekt für seine Entscheidung, sich mit der Preisvergabe an Ilham Tohti nicht dem Druck aus China gebeugt zu haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen