Saatgut im Klimawandel: Rübenwinter mild und süß
Die Bauern brauchen Pflanzen, die Wärme und Trockenheit vertragen. Der Saatguthersteller KWS arbeitet an neuen Sorten – mit Gentechnik
NORDHEIM taz | Wo ist das Saatgut der Zukunft? Hier, in den Pappkartons, die in haushohen Lagerregalen stehen? Wohlklingende Namen stehen darauf. Feminine wie Debora und Belladonna für die süße Zuckerrübe. Und beim Mais inspirierte offenbar spanischer Fußball zu Namen wie Torres, Fernandez oder Atletico. Aber welche Sorte ist fit für den Klimawandel in Deutschland?
Henning von der Ohe schüttelt den Kopf. Er ist Leiter der Unternehmensentwicklung bei der KWS Saat AG in Einbeck. Der als Bierstadt bekannte Ort in Niedersachsen beherbergt die Zentrale eines der größten Saatgutkonzerne weltweit mit knapp 750 Millionen Euro Jahresumsatz. Von der Ohe arbeitet seit 24 Jahren hier und sagt: "Die Entwicklung einer neuen Sorte dauert 10 bis 15 Jahre."
Wer wissen will, was in Zukunft auf den Feldern ausgesät wird, muss vom Lager hinüber ins Labor. Am Gewächshaus macht von der Ohe eine kurze Pause und zeigt auf Maispflanzen. Keine Spur von Trockenheit, zwischen den grünen Blättern präsentieren sie ihre dicke Kolben.
"Der Mais mag die Wärme", sagt von der Ohe. Also wird er kein Problem bekommen? Wohl weniger durch die steigenden Temperaturen als durch die zunehmende Trockenheit in vielen Regionen Deutschlands. Gerade im Sommer zur Blütezeit braucht Mais viel Wasser. Außerdem begünstigt der Klimawandel die Feinde des Maises, gefräßige Insekten. Dagegen muss er gewappnet sein - wie auch die Zuckerrübe.
Bei der Zuckerrübe ist KWS Weltmarktführer. Hier beschäftigen die KWS-Forscher auch noch andere Zuchtziele. Die steigenden Temperaturen führen nämlich nicht nur zu Hitzestress im Sommer, sondern auch zu milderen Wintern.
Bauern könnten die Zuckerrüben darum im Winter auf dem Feld lassen. Bisher säen sie sie im Frühjahr und ernten sie im Herbst. Säen sie sie künftig schon im Herbst, bekommen die Rüben ein Jahr Zeit zum Wachsen. Da steigert sich der Zuckerertrag um bis zu 30 Prozent. Doch auch für diesen lukrativen Effekt des Klimawandels muss erst das Saatgut entwickelt werden.
Dafür sind in der KWS-Zentrale etwa 20 Wissenschaftler und 100 Assistenten zuständig. Ihre Labore liegen hinter gut gesicherten Türen. Auf den Tischen haben sie Petrischalen vor sich, in denen kleine Pflanzen wachsen. Sie begutachten sie, trennen sie, legen sie wieder in eine andere Petrischale. Vielleicht liegt hier schon irgendwo der Urahn der Saat für das durch Klimawandel aufgeheizte, trockenere Deutschland.
Doch bis daraus zu vermarktendes Saatgut wird, müssen noch viele Pflanzen im Labor oder auf den Versuchsfeldern rund um das Firmengelände in Einbeck oder den anderen 70 Zucht- und Prüfstationen in Europa, Asien und Amerika wachsen. Dabei spielen neben den klassischen Züchtungsmethoden auch gentechnische Verfahren eine Rolle. Bei der winterharten Zuckerrübe der Zukunft will KWS zum Beispiel bestimmte Gene an- oder abschalten, um unerwünschte Blütenstände zu verhindern. Im Gewächshaus klappt das bereits.
In den USA macht KWS 30 Prozent seines Umsatzes, 70 Prozent davon mittlerweile mit genveränderten Pflanzen. Würde KWS dieses Feld brachliegen lassen, wäre das für das Unternehmen "grob fahrlässig", meint von der Ohe.
Ganz anders sehen das die Gegner der Gentechnik in der Landwirtschaft. Seit tausenden Jahren seien Kleinbauern in allen Regionen der Erde wahre Meister der Anpassung an sich verändernde Umweltbedingungen, sagt Volker Gehrmann von der Initiative Save our Seeds.
So sei eine enorme Vielfalt an Sorten mit natürlichen Resistenzen gegen Trockenheit, Nässe oder Schädlinge entstanden. Den großen Saatgutkonzernen wie der KWS gehe es nicht wirklich um die Anpassung an den Klimawandel, sondern um Gewinnmaximierung und Macht. Gentechnisch veränderte Pflanzen in Verbindung mit Patenten seien ihre Instrumente.
All die Fragen von Patenten, Monopolen und Abhängigkeiten der Landwirte müsse der Gesetzgeber regeln, meint von der Ohe. Er hält es zwar für unwissenschaftlich zu sagen, das grüne Gentechnik ganz ohne Risiko sei. Aber: "Nach dem Stand der Wissenschaft ist sie sicher." Sie sei ein Baustein der Landwirtschaft der Zukunft. Schließlich ginge es nicht nur darum, die Erträge zu sichern, sondern sie noch weiter zu steigern. Der Bedarf werde größer, nicht nur wegen einer weiter wachsenden Weltbevölkerung, sondern auch wegen der steigenden Bedeutung von Pflanzen bei der Energiegewinnung.
Von der Ohe ist überzeugt: "Zur Mitte des Jahrhunderts werden wir auch eine ökologische Landwirtschaft erleben, die gentechnisch veränderte Pflanzen nutzt."
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