Saarbrücker Busfahrer treten massenhaft der Linken bei: Busspur zu Oskar
Fast alle Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe im Großraum Saarbrücken sind der Linken beigetreten. Die Landes-SPD ist entsetzt. Sie fürchtet, 2009 von Exchef Lafontaine besiegt zu werden.
SAARBRÜCKEN taz Diesen Coup selbst zu verkünden, ließ sich Linke-Parteichef und Saarländer Oskar Lafontaine nicht nehmen. Stolz präsentierte er am Donnerstag in der Saarbrücker Parteizentrale einen roten Ordner mit den Parteieintrittserklärungen fast der gesamten Belegschaft des kommunalen Verkehrsunternehmens Saarbahn GmbH. 220 von 300 Bus- und Bahnfahrern der Saarbahn - darunter 12 Frauen - sind jetzt Linke.
Die Mitgliedszahl der Lafontaine-Partei an der Saar stieg damit auf 2.550; allein im Stadtverband Saarbrücken sind es ein Jahr nach Gründung der Partei über 1.000 Mitglieder. Sehr zum Entsetzten der SPD im Saarland. Deren Sprecher Thorsten Bischoff reagierte mit Fassungslosigkeit auf den Masseneintritt; schließlich verfügten 35 der neuen Linken zuvor über das Parteibuch der SPD. Bischoff warf der Presse vor, "über jedes Stöckchen zu springen, dass ihr von der Linkspartei hingehalten wird."
Landespartei- und Landtagsfraktionschef Heiko Maas hatte zuvor gesagt, dass lediglich 25 der 220 neuen Mitglieder der Linkspartei zuvor Sozialdemokraten gewesen seien. Eine Schutzbehauptung sei das, sagte der Landesvorsitzende der Linken, Rolf Linsler, der als Gewerkschaftsboss an der Saar früher selbst in der SPD war. 2009 sind im Saarland Landtags- und Kommunalwahlen.
Über ihre Motivation, der Linken beizutreten, berichteten drei der Busfahrer ausführlich. Da sei viel an Ärger über die Politik vor allem der "SPD unter Schröder" zusammengekommen in den letzten Jahren, sagt der 48-jährige Bernd Schneider. Und aktuell ängstige die Kollegen die Debatte über die Rente mit 67 und Lohndumping in der Branche. Noch dazu gehe im Betrieb das "Gespenst der Privatisierung" um, nachdem der Mutterkonzern VVS (Verkehrs- und Versorgungsbetriebe Saarbrücken) beschlossen habe, 49 Prozent seiner Anteile am VVS zu verkaufen.
Im benachbarten Völklingen habe die Belegschaft der dortigen Verkehrsbetriebe nur mit massivem Widerstand und dem Gang von Ver.di zum Arbeitsgericht die von der Stadt bereits beschlossene Privatisierung noch vorläufig verhindern können, berichtet auch Michael Bleind. "Wir protestieren jetzt mit dem Masseneintritt in die Linke!", sagt der 51-Jährige. Ähnlich sieht das sein Kollege Markus Morsing: "Bei jeden von uns zu Hause wurde das alles ausführlich diskutiert", sagt der 40-jährige Busfahrer. "Mit unserem kollektiven Parteieintritt wollten wir jetzt ein Zeichen setzen." Die Linke sei die einzige Partei, die sich gegen die Privatisierung kommunaler Betriebe stemme, sagen die drei Saarbahn-Angestellten übereinstimmend. Sie kämpfe außerdem gegen Dumpinglöhne.
Ein Zeichen vor allem für andere Beschäftigte in anderen Betrieben. Aber mit Blick auf die Kommunalwahlen im nächsten Jahr auch für die Rathäuser, denn die Kommunen sind die Eigentümer der lokalen Verkehrs- und Versorgungsbetriebe. Und die Kommunalpolitiker sitzen dort in den Aufsichtsräten. "Wenn unsere Mitgliederzahlen so kontinuierlich weiter steigen, haben wir auch bei den Kommunalwahlen große Chancen", sagt Lafontaine, der zuvor noch skeptisch gewesen sei. "Die Leute wissen jetzt, dass wir in den Rathäusern und Gemeindeparlamenten Bollwerke gegen die Privatisierung sind".
"Ich bin von der SPD wieder in die SPD eingetreten, in die richtige SPD von früher, die jetzt Linke heißt", tritt Winfried Jung, Saarbahn-Betriebsratschef, nach. Aber ist der massenhafte Parteieintritt aus Protest nicht auch ein Beleg dafür, dass die Linke eben nur eine Protestpartei ist? Lafontaine weist das zurück. Die neuen Parteigenossen seien doch für etwas, nämlich für mehr soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit; und nicht nur gegen etwas. "Sie wussten, was sie taten." Dass die Busfahrer nur seinetwegen kämen, streitet er milde ab. Er trage nur sein Scherflein dazu bei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren