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STREIT UM BABYPRÄMIEN: KINDER SIND NICHT NUR EIN ARMUTSRISIKOEine doppelte Hierarchie

Es ist eigenartig, wie doppelbödig die öffentlichen und privaten Diskussionen ablaufen, wenn es ums Kinderkriegen geht. Es gibt ein lautes, öffentlich vorgetragenes Klagelied – und ein privates, leises Raunen, das ganz anders klingt. Im Streit ums Kinderkriegen liegt ein Geheimnis.

Öffentlich ertönt seit einigen Jahren immer das gleiche Klagelied: Kinder sind ein Armutsrisiko – und das stimmt auch. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) forderte daher jetzt eine 1.000-Mark-Prämie pro Monat für die ersten Erziehungsjahre.

Doch so richtig es ist, über große sozialpolitische Verteilungsmaßnahmen nachzudenken, die Ambivalenz der Kinderdebatte wird damit noch nicht erfasst. Denn im privaten Diskurs sind Eltern keineswegs Verlierer: Wer Nachwuchs hat und finanziell über die Runden kommt, gilt als glücklicher im Vergleich zu Alleinstehenden. Jeder kennt die Bemerkungen, wenn es mal wieder um die Befindlichkeit von Freundinnen geht, die Ende dreißig sind und keine Kinder haben: „Na ja, die hat’s ja auch schwer, ohne Kind und ohne Mann“ (übrigens in dieser Reihenfolge).

Die Zahl der Kinderlosen steigt: Jede dritte Frau um 35 wird ohne Nachwuchs bleiben, so berechnen Familienpolitiker. Der soziale Status von Alleinstehenden jedoch ist zweifelhaft, früher galten Alleinstehende ohnehin als „alte Jungfern“ oder „Hagestolze“. Heute hingegen hat sich eine doppelt gewirkte Hierarchie herausgebildet – eine heimliche Rangordnung von Status und Glück.

Ganz oben in dieser Hierarchie steht der beruflich erfolgreiche Mann, der sich nicht nur eine, sondern möglicherweise irgendwann sogar noch eine zweite Frau und Familie leisten kann. Ganz unten in dieser Doppelhierarchie aus Geld und Bindung hingegen stehen allein stehende, kinderlose und beruflich erfolglose Frauen. Eher oben rangieren Familien, in denen die Frau und Mutter auch noch einen Beruf ausübt. Weiter unten stehen kinderreiche, sozial schwache Familien und Alleinerziehende auf Sozialhilfe.

In einer zunehmend dynamischen Gesellschaft bedingen und behindern sich Kinderkriegen und beruflicher Erfolg dabei auf paradoxe Weise: Wenn die Karriere schon mit 45 durch Abstieg enden kann, kommt der Familie als Hort von Stabilität ein neuer Wert zu. Kinder hat man ein Leben lang, einen Chefposten nicht unbedingt. Umgekehrt jedoch hindert der erbarmungslose Konkurrenzkampf mit befristeten Arbeitsverhältnissen viele Männer und Frauen daran, sich für eine Familie zu entscheiden. Der Kinderreichtum der Ärmeren ist gleichfalls ambivalent: Für vielköpfige Familien oder allein erziehende Frauen sind Kinder zwar ein berufliches Hindernis, aber eben auch ein großes Glück. Das Geld entscheidet immer mit: Laut Studien sind Elternpaare mit finanziellen Problemen stärker von Trennung bedroht als Paare in gesicherten materiellen Verhältnissen.

Eine doppelt gewirkte Hierarchie aus Geld und Bindungsglück erfordert Maßnahmen auf mehreren Ebenen, um Ungleichheiten abzumildern. In der Sozialpolitik ist klar: Das Betreuungsangebot vor allem in Krippen und Horten für Schulkinder muss ausgebaut werden, um mehr Frauen eine Berufstätigkeit und ein Einkommen zu ermöglichen. Während rein rechnerisch 90 Prozent der drei- bis sechsjährigen Kinder einen Kindergartenplatz haben, liegt die Quote für Schulkinder bei nur 13 Prozent. Die niedrige Geburtenrate ist jedoch auch eine tausendfache Kritik an der Hochleistungsgesellschaft. Das zeigt sich etwa daran, dass der so viel geschmähte öffentliche Dienst mit seinem Kündigungsschutz und den Teilzeitmöglichkeiten tatsächlich das familienfreundlichste Arbeitsumfeld bietet. Politisches Ziel muss sein: Niemand, der mehrere Kinder haben will, sollte aus rein wirtschaftlichen Gründen davon absehen müssen.

Aber nicht nur die Politik ist gefragt, auch die Gesellschaft muss die doppelten Hierarchien hinterfragen. Weder die vielköpfige Familie mit geringem oder gar keinem eigenen Arbeitseinkommen darf stigmatisiert werden noch kinderlose Frauen, die sich nicht für ein Kind entscheiden konnten, wollten oder die nicht den richtigen Mann dazu gefunden haben. Nicht nur das politische Setzen von Normen, auch der „Pluralismus der Schicksale“ macht eine Gesellschaft aus – vielleicht liegt darin das Geheimnis der Debatte ums Kinderkriegen.

BARBARA DRIBBUSCH

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