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STREIKRECHT Bremer Mercedes-Angestellte kämpfen für das Recht auf „wilde Streiks“ nach dem Vorbild Frankreichs und Italiens. Notfalls wollen sie dafür bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehenDie Wildstreiker vom Bremer Mercedes-Werk

von Simone Schnase

Nichts Geringeres als eine Novellierung des deutschen Streikrechts fordern 30 MitarbeiterInnen des Bremer Mercedes-Werks. Dafür haben sie den Marsch durch die gerichtlichen Instanzen angetreten, der sie notfalls bis nach Straßburg führen soll.

Begonnen hat alles in der Nacht vom 11. auf den 12. Dezember 2014: Damals standen im Bremer Daimler-Werk die Bänder still. Aus Protest gegen Leiharbeit und die Vergabe von Arbeitsplätzen an Fremdfirmen zogen rund 1.300 MitarbeiterInnen protestierend durch die Hallen, die Nachtschicht verabschiedete sich, nachdem sie eine Kundgebung abgehalten hatte, gegen 1.00 Uhr nach Hause. Dazu mobilisiert hatten Teile des Betriebsrates und Vertrauensleute der zuständigen Gewerkschaft IG Metall.

Bloß: Zu keiner der Aktionen hatte die IG Metall selbst aufgerufen, und das hatte Konsequenzen: 761 Mercedes-MitarbeiterInnen bekamen von der Werksleitung eine Abmahnung. Denn „wilde Streiks“, also die Arbeitsniederlegung ohne Gewerkschaftsaufruf und laufende Tarifverhandlungen, sind in Deutschland verboten. Gegen ihre Abmahnungen, aber vor allem gegen das Verbot von wilden Streiks haben 30 der Abgemahnten Sammelklage eingereicht. Sie kämpfen für das Recht, auch dann streiken zu dürfen, wenn „ihre“ Gewerkschaft nicht mitspielt.

Streit um Leiharbeit

Denn genau das ist nach Auffassung vieler Daimler-Beschäftigten geschehen: Die IG Metall habe sich nicht wie von der Belegschaft gewünscht gegen Leiharbeiter bei Mercedes ausgesprochen, sondern lediglich für eine Regulierung von Leiharbeit, so Daimler-Betriebsrat Gerwin Goldstein. Der Bremer IG-Metall-Geschäftsführer Volker Stahmann habe auf einer Betriebsversammlung sogar für die Wiedereinführung der Sechs-Tage-Woche plädiert.

30 Mercedes-MitarbeiterInnen klagten also und beantragten die Entfernung der Abmahnungen aus ihren Personalakten. Außerdem verlangten sie eine Erklärung des Konzerns, künftig keine Abmahnungen oder Kündigungen auszusprechen, wenn die Belegschaft mit Arbeitsunterbrechungen gegen die Fremdvergabe von Jobs im Daimler-Logistikbereich protestiert.

Vor allem dieser Unterlassungsantrag sei wichtig, sagte Benedikt Hopmann, einer der vier Kläger-AnwältInnen, anlässlich der Verhandlung vor dem Bremer Arbeitsgericht im vergangenen Februar. „Es geht uns ja vor allem um die Aufhebung des Verbots verbandsfreier Streiks – die Unterlassungsklage fordert dieses Recht ein und erlaubt uns, das Verfahren so weit wie möglich weiterzuführen.“ Zur Not wollen die Kläger bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ziehen.

Das Arbeitsgericht Bremen hat die Klage der Streikenden abgewiesen – mit Verweis auf das deutsche Streikrecht und die Europäische Sozialcharta, nach der es vor einem Streik Verhandlungen zwischen ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen hätte geben müssen. Das aber, so das Argument der vorsitzenden Richterin, habe sie nicht erkennen können.

Vorbild Frankreich

Auf die Sozialcharta indes berufen sich die KlägerInnen ebenfalls, denn die sehe ein Streikrecht für jedermann vor – auch ohne Gewerkschaftsbeschluss. „Auch in Frankreich sind politische Streiks erlaubt“, sagt KlägerInnen-Anwältin Gabriele Heinecke. Die Richterin, sagte sie nach der Urteilsverkündung, habe „leider die Zeichen Europas nicht erkannt“.

Außerdem habe die Richterin die konkrete Situation bei Daimler falsch gedeutet: Die Vertrauensleute der IG Metall im Betrieb seien ja durchaus zu Verhandlungen bereit gewesen. Doch Daimler, in Bremen immerhin der größte private Arbeitgeber, habe stets betont, dass es sich bei der Vergabe von Arbeitsplätzen an Fremdfirmen um eine „einseitige Unternehmensentscheidung“ handle, Verhandlungen also unerwünscht seien.

Die IG Metall, so Anwältin Heinecke, habe das mitgetragen und die KollegInnen im Stich gelassen: „Das individuelle und kollektive Recht auf freie Meinungsäußerung kann doch nicht davon abhängig gemacht werden, ob es ein formelles Verhandlungsangebot oder eine Gewerkschaft im Hintergrund gibt.“

Das Problem müssten Streikende mit der Gewerkschaft lösen, „nicht auf Kosten der Arbeitgeber“, lautete die Argumentation der Daimler-VertreterInnen. Es könne nicht sein, dass ein rechtsfreier Raum für die Angestellten geschaffen werde.

Den wollen die klagenden Mercedes-Angestellten freilich gar nicht, sondern das verbriefte Recht auf wilde Streiks. Vorbilder sind Italien und Frankreich: Dort ist der Streik als individuelles Recht von der Verfassung garantiert und anerkannter Ausdruck der politischen Willensäußerung.

Die Daimler-MitarbeiterInnen sind mittlerweile in Berufung gegangen und hoffen im nächsten Schritt auf das Landesarbeitsgericht. Bei der IG Metall hält sich die Unterstützung allerdings in Grenzen, wenngleich die meisten der wild Streikenden Mitglieder sind: Die Gewerkschaft verweigerte ihnen nicht nur Rechtsschutz, sondern auch das im Vorfeld korrekt beantragte Rederecht beim IG-Metall-Gewerkschaftstag im vergangenen Oktober in Frankfurt. Und auch bei der Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Bremen waren keine Gewerkschaftsvertreter vor Ort.

Daimler lenkt ein

Eingelenkt hat überraschenderweise die Daimler-Geschäftsführung: Kurz vor Ostern ließ sie vorzeitig alle 761 Abmahnungen aus den Personalakten der Betroffenen entfernen, was diese laut KlägerInnen-Sprecher Gerhard Kupfer durchaus als „Teilsieg“ verbuchen.

Aber, so heißt es in einer schriftlichen Mitteilung Kupfers: „Es handelt sich hier nicht um einen ‚Gnadenakt‘ der Werksleitung. Es ist auch nicht so, dass der Personalchef plötzlich sein Herz für die Arbeiter entdeckt hat. Das Unternehmen braucht die Friedhofsruhe, um ungestört weitere Angriffe wie Fremdvergaben gegen uns durchziehen zu können.“ Die vorzeitige Herausnahme der Abmahnungen sei der „schwache Versuch“ des Unternehmens, „einen Schlussstrich zu ziehen und vor allem, sich um die Klärung unserer Frage nach dem Streikrecht in Deutschland herum zu mogeln“.

Es sieht freilich nicht so aus, als werde Daimler das gelingen. „Nach Rücksprache mit unseren Anwälten“, schreibt Kupfer weiter, „sind wir der Auffassung, dass wir nicht auf halber Strecke stehen bleiben dürfen.“ Das seien die KlägerInnen sich selbst und all denen schuldig, die ihnen ihre Solidarität ausgedrückt hätten. Kupfer: „Das sind wir auch schuldig der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung, weil es um eine ihrer existenziellsten Fragen geht: das Recht auf Streik.“

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