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Archiv-Artikel

SPD wasserlos im tiefsten Tal

Nach 100 Tagen als SPD-Chef löst Franz Müntefering an der Basis keine Euphorie mehr aus. Beim Regionaltreffen im westfälischen Hagen war von Optimismus und „Münte“-Effekt nichts zu spüren

AUS HAGENMARTIN TEIGELER

Müntefering kam, aber keiner klatschte. Der SPD-Bundesvorsitzende betrat die Hagener Stadthalle, doch niemand rief: „Münte“. Seit 100 Tagen ist Franz Müntefering oberster Sozialdemokrat, aber der „Münte“-Effekt, die erhoffte Erholung der Partei ist ausgeblieben. Bei der Konferenz der SPD-Region Westliches Westfalen (WW) fiel die Begrüßung für den Chef deshalb eher reserviert aus. Die Adresse des Veranstaltungsorts stand für die Lage der SPD: „Wasserloses Tal.“

„Wir wollen regieren“, rief Müntefering den 200 Delegierten zu. 45 Minuten lang rechtfertigte der Vorsitzende noch einmal die Politik der Bundesregierung. „Solidarität, Chancengleichheit, Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit“ müssten die Leitlinien sozialdemokratischen Regierungshandelns bleiben. Die Partei rief Müntefering zu mehr Geschlossenheit auf: „Disziplin ist keine Sekundärtugend.“ Mit den Themen Bildung und Bürgerversicherung will Müntefering es jetzt reißen für die SPD. Er versprach eine Ende des Berliner Reformchaos.

50 Sekunden währte der höfliche Beifall für Münteferings Rede. Die Genossen waren nicht in Jubelstimmung. Bei der Europawahl hatte die Partei im Westlichen Westfalen ein miserables Ergebnis eingefahren. Im Durchschnitt zehn Prozent verloren die Sozialdemokraten in dem ehemaligen Vorzeige-Bezirk zwischen Gelsenkirchen und Dortmund. Wegen des Reformstreits haben in den letzten beiden Jahren rund 15.000 WW-Mitglieder ihr rotes Parteibuch zurückgegeben. Trotzdem ist die Region mit 77.430 Mitgliedern immer noch eine Hochburg. Und Ex-WW-Chef Müntefering ist weiter der Hoffnungsträger der West-Sozis.

Bei der anschließenden Diskussion musste sich Müntefering viel anhören. Ingo Bietmann aus Rheine kritisierte den Bundeskanzler: „Wenn es um die Macht geht, ist Gerhard Schröder so flexibel wie ein Pudelkopf.“ Frank Schwabe aus Castrop-Rauxel bemängelte das Auftreten von SPD-Ministern in Berlin: „Diese Kaltschnäuzigkeit ist zum Kotzen.“ WW-Chef Norbert Römer forderte: „Jede neue Maßnahme muss auf ihre Sozialverträglichkeit hin geprüft werden.“

Der sichtlich genervte Müntefering gab die Mahnungen bei seiner Erwiderung in Richtung NRW-SPD zurück. „Auch in Düsseldorf müssen wir besser werden“, sagte er und verschwand zum nächsten Parteitermin. Es war dem ehemaligen NRW-Sozialminister Hermann Heinemann vorbehalten den Saal wenigstens einmal zum Kochen zu bringen. Der Veteran wurde für seine Forderung nach einer härteren Gangart gegen die CDU bejubelt: „Angela Merkel ist das durchtriebenste Weib, was in Berlin herumläuft.“