SPD kritisiert „Schuldenunion“: Eine Billion Euro Risiko
Die SPD spricht von einer „völlig intransparenten Weise“ der Entscheidungsfindung. Deutschland hafte in Eurokrise bereits jetzt mit rund einer Billion Euro. Auch Merkel kriegt ihr Fett weg.
BERLIN afp | Die Bundesregierung nimmt nach Ansicht der SPD in der Schuldenkrise eine deutlich höhere Haftung Deutschlands als öffentlich wahrgenommen in Kauf. Das Risiko belaufe sich „inzwischen auf eine Billion Euro“, sagte Haushaltspolitiker Carsten Schneider der Berliner Zeitung vom Mittwoch. Er verwies dabei auf offene Forderungen der Bundesbank, die schon von Ökonomen kritisiert worden waren.
Deutschland hafte nicht nur für die Politik beschlossenen Hilfspakete und Rettungsschirme, „sondern mit noch viel größeren Summen für die Transaktionen der Europäischen Zentralbank“ (EZB), so Schneider. Die Bundesrepublik stehe neben 310 Milliarden Euro für Griechenland-Pakete und Rettungsschirme auch für Zentralbank-Transaktionen in Höhe von über 700 Milliarden Euro ein.
Deutschland befinde sich „längst in der Schuldenunion“, sagte Schneider. Staatliche Defizite über die EZB zu finanzieren, sei „der schlechteste Weg, mit der Eurokrise umzugehen“. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) trage dieses Vorgehen dennoch mit, weil dieses „ihr immer neue Abstimmungen im Bundestag über immer höhere Haftungssummen erspart“, kritisierte Schneider.
Zentrales Problem in Zusammenhang mit den von Schneider kritisierten Haftungsrisiken sei eine unzureichende demokratische Legitimation der EZB. Die Zentralbank treffe ihre Entscheidungen auf „völlig intransparente und undemokratische Weise“. Im Zentralbankrat habe Deutschland nur eine Stimme wie kleine Mitgliedsländer der Eurozone auch und könne deshalb überstimmt werden.
Sehr hohe Forderungen der Bundesbank
Hintergrund der Kritik Schneiders sind die Forderungen der Bundesbank aus dem europäischen Zahlungsverkehr-System Target 2. Diese sind im Laufe der Finanz- und der Eurokrise dramatisch angestiegen. Ende Juli beliefen sich die Forderungen der Bundesbank auf 727,2 Milliarden Euro. Im Juli 2007 betrugen diese noch 20,6 Milliarden Euro. Zuvor lagen die Forderungen der Bundesbank nur selten über dieser Schwelle.
Die Forderungen aus Target 2 kommen durch grenzüberschreitende Zahlungsgeschäfte zustande. Die EZB funktioniert als zentrale Koordinationsstelle innerhalb des Zahlungssystems. Angeschlossen sind unter anderem die Notenbanken von Euroländern und anderer EU-Staaten, über die nationale Geschäftsbanken oder Sparkassen indirekt teilnehmen.
Kauft ein griechisches Bauunternehmen etwa einen Lkw oder eine Baumaschine in Deutschland, beauftragt dieses seine Hausbank mit einer Überweisung. Die Bank leitet das Geld weiter über Griechenlands Notenbank an die EZB an die Bundesbank. Von dort aus kommt das Geld auf das Konto des Lkw- und Baumaschinen-Herstellers in Deutschland. Die Hausbank des Herstellers hat dann eine Forderung bei der Bundesbank über Auszahlung dieser Summe, die Bundesbank dann wiederum gegenüber der EZB.
In der vergangenen Jahren wuchsen die Exportüberschüsse Deutschlands gegenüber kriselnden Eurostaaten wie Griechenland. Der renommierte Ökonom Hans-Werner Sinn weist schon seit längerem auf die Risiken aus Target 2 hin.
Sinn kritisiert, dass die Notenbanken in Krisenländern in den vergangenen Jahren die Druckerpressen angeworfen hätten, um die dortige Wirtschaft über Kredite mit Geld zu versorgen. Durch Einkäufe mit diesem Geld in Deutschland entstehen dann Forderungen der Bundesbank gegenüber Target 2. Sinn sieht die Gefahr, dass die Bundesbank Target-Forderungen künftig nicht eintreiben kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Syrische Geflüchtete in Deutschland
Asylrecht und Ordnungsrufe