SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid für Ba-Wü: Ein sehr seriöser Mann
Nils Schmid gilt als ruhig, ausgewogen und wie ein braver Juniorpartner. Für viele zu brav. Doch inzwischen attackiert er Stefan Mappus. Die Grünen aber schont er.
STUTTGART taz | Gemeinsam strecken die beiden Männer einen rot-grünen Schal in die Höhe. Vier Tage vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg stehen sie auf einer Bühne in der Stuttgarter Innenstadt. Gemeinsam ergreifen wir die Macht, lautet die Botschaft. Der eine Mann ist der Spitzenkandidat der SPD, der andere der der Grünen. Beide wollen am Sonntag Ministerpräsident werden.
Trotzdem treten Winfried Kretschmann von den Grünen und der Sozialdemokrat Nils Schmid immer wieder gemeinsam auf. Zusammen besuchten sie einen Solarpark, gemeinsam reihten sie sich ein bei der Demonstration gegen die Atomkraft - Bilder, die früher undenkbar waren. Weil sich die Sozis und die Ökos nicht vertraut haben. Dass sich das geändert hat, hat viel mit Nils Schmid zu tun.
Neben dem grauhaarigen Winfried Kretschmann sieht Schmid noch bubenhafter aus, als er es sonst schon tut. Der 37-Jährige mit den nach vorn gekämmten Haaren wirkt wie der Juniorpartner. Schmid würde diese Rolle akzeptieren, sollten die Grünen stärker werden als die SPD. So oder so - Kretschmann und er wollen sich auf Augenhöhe begegnen. Was früher undenkbar war, hat Schmid ermöglicht, weil er zuhört und als verlässlich gilt, weil Kretschmann ihm vertraut.
"Dr. Nils Schmid"
Mit diesem Vertrauen versucht die SPD auch bei den Wählern zu werben. Auf Wahlplakaten lehnt sich Schmid vor weißem Hintergrund an einen Tisch. "Dr. Nils Schmid" steht darauf. Gedruckt waren sie vor der Guttenberg-Affäre, als ein Doktortitel noch für Seriosität stand. Damit wollte die SPD punkten. Im Land der Kehrwoche scheint Seriosität für die SPD die entscheidende Eigenschaft ihres Kandidaten zu sein. Ein seriöser Mann. Ein Anti-Mappus.
Reicht das? Schmid gilt vor allem deshalb als Anti-Mappus, weil er ruhig ist, ausgewogen argumentiert, auch brav wirkt. Aber möchten die Regierten nicht auch einen Mann, der sagt, wo es langgeht? Könnte der 37-Jährige zu wenig von dem haben, was Mappus zu viel hat?
Der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim nennt drei Kompetenzen, nach denen die Wähler einen Kandidaten beurteilen: die vermutete Sachkompetenz, die Führungsstärke und die Vertrauenswürdigkeit. "Von diesen drei Punkten ist sicherlich die Führungsstärke das Problem von Nils Schmid", sagt Brettschneider. Schmid war noch keine 24 Jahre alt, als er in den Landtag einzog. Damals steckte er noch in seinem Jura-Studium.
Im Parlament profilierte er sich in der eher trockenen Finanzpolitik. Seit zehn Jahren sitzt er im Finanzausschuss. Der geborene Sachpolitiker? Wegbegleiter trauen ihm mehr zu. Schmid lenke im Stillen, sagt sein persönlicher Berater Daniel Abbou. Was bei Angela Merkel die SMS-Diplomatie sei, mache Schmid über viele Telefonate. Schmid selbst sagt: "Führen ist nichts, das mit Lautstärke zu tun hat." Seine Stärke sei das Zuhören. Politische Attacken schienen hingegen bislang nicht seine Stärke zu sein.
Damit bildet Schmid recht genau ein Problem seiner Partei ab. Attacke ist auch nicht ihre Stärke. Fast ununterbrochen hocken die Sozialdemokraten seit 58 Jahren in der Opposition. Doch selbst die eigene Partei bescheinigt ihrer Fraktion, zu staatstragend zu sein, zu brav. Sie pinkle Mappus zu selten ans Bein. Wahrscheinlich ist die SPD-Fraktion so, gerade weil sie immer die Opposition geben musste. Sie will auch mal was zu sagen haben, auch ein bisschen mitspielen.
Die Jusos kämpfen immer wieder gegen dieses nette Mitspielen. Die Jugendorganisation war es, die die Fraktionsspitze in den Untersuchungsausschuss zum 30. September trieb. Nachdem die Polizei mit Wasserwerfern gegen S-21-Demonstranten im Schlossgarten vorgegangen war, hielt die SPD-Fraktion schnell alle Fragen für geklärt. Einen Untersuchungsausschuss lehnte sie ab. Erst nachdem die Jusos ihren Antrag auf dem Landesparteitag durchbrachten, war der Weg für diesen Ausschuss frei, um die politische Verantwortung für den "schwarzen Donnerstag" zu klären.
Stuttgart 21 bietet ein weiteres Beispiel für die Rolle der SPD-Fraktion - in Person von Wolfgang Drexler. Seit 1988 sitzt Drexler im Landtag, fünf Jahre lang führte er die SPD-Fraktion an. Als 2009 er das Angebot erhielt, Sprecher des Bahnprojekts zu werden, konnte er nicht widerstehen. Obwohl Schwarz-Gelb für den Bahnhof verantwortlich ist, hat er quasi freiwillig die Prügel eingesteckt. Erst als die SPD umschwenkte und einen Volksentscheid forderte, legte Drexler das Amt nieder.
Was bei Drexler bestens funktionierte und was kein Einzelfall ist, das bezeichnet Ute Vogt als "Einbindungsstrategie", die die CDU clever einzusetzen wisse. Als ehemalige Fraktionschefin und langjährige Landesvorsitzende weiß sie, wovon sie spricht. Obwohl auch Schmid schon lange in der Fraktion sitzt, hält sie ihn für unabhängiger. Auch richte Schmid seine Arbeit nicht nach schnellen Schlagzeilen aus. "Vernünftige Lösungen sind ihm wichtiger", sagt Vogt. Seitdem er Wahlkampf macht, versucht es Schmid auch mit Attacken. Im Zusammenhang mit dem Rückkauf von EnBW-Aktien bezeichnete er Mappus als "Lügner". Beobachter sagen, er habe sich von Auftritt zu Auftritt gesteigert.
Attacken gegen Mappus
Schmid steht in der Stuttgarter Liederhalle. Er stützt sich gegen das Pult, holt Luft. Mappus sei ein Ministerpräsident, "der zwar das Land beherrschen will, sich selbst aber nicht beherrschen kann". Jetzt presst er seine Lippen aufeinander, seine Unterlippe schiebt sich etwas vor. Der hat gesessen. Er sieht aus, als würde er sich innerlich selbst dafür loben.
Wegbegleiter sagen, dass Schmid diese Mappus-Attacken reite, seit er Abbou im vergangenen November in sein Team geholt hat. Damals tobte der Streit um Stuttgart 21. Erstmals schien ein Wechsel möglich. Erstmals rückte ein anderer möglicher Ministerpräsident in den Blick als Mappus. Nur war das nicht Schmid, sondern der Grüne Kretschmann. Die SPD dümpelte bei gerade mal 18 Prozent in den Umfragen. Es schien bitter nötig, neuen Schwung in den Laden zu bringen.
Die erste Herausforderung für das Duo Schmid/Abbou war die Aufgabe, Schmid überhaupt erst bekannt zu machen. Dafür scheute Schmid selbst den Besuch beim Mainzer Karneval nicht. Eigentlich hat Schmid, der in seiner Freizeit gern ein Buch liest, mit der Fasnet nichts am Hut. "Ich bin sicher nicht der Obernarr. Aber Karneval ist ein Teil unserer Kultur", erklärt er gewohnt diplomatisch.
In der Narrenzeit schwamm die SPD auf einer gefühlten Erfolgswelle. Der SPD-Wahlsieg in Hamburg bescherte auch den Sozialdemokraten im Südwesten Auftrieb. Erst recht als die Atomdebatte aufkam, zeigte sich manch ein Genosse siegesgewiss. Tatsächlich liegt Rot-Grün vorn, doch noch immer sind viele Wähler unentschlossen.
Sollte es für keines der beiden Lager reichen, stünde Schmid vor seiner bislang größten Herausforderung als SPD-Chef. Dann müsste er beweisen, wie viel er mit seiner Telefondiplomatie erreichen kann - dann, wenn die Linke den Sprung ins Parlament schafft. Alle würden auf Schmid schauen. Die Aufmerksamkeit, die ihm bislang verwehrt blieb, hätte er dann. Wagt er mit einer rot-rot-grünen Koalition den Wechsel? Oder wird er Königsmacher von Mappus?
Die Partei könnte das zerreißen. Die Fraktion wäre wegen ihrer Nähe zur CDU wohl mehrheitlich für eine große Koalition - für die Parteibasis eine bittere Pille. Auf SPD-Wahlkampfveranstaltungen hört man derzeit Sätze wie "Ich hoffe, dass die sich hüten werden." Oder: "Nicht den Mappus noch mal. Das ginge gar nicht."
Wie auch immer er sich entscheiden würde, Schmid müsste brutal führen: Seine gespaltene Partei auf Linie bringen, die Kräfte, die von außen auf ihn eindringen, abwehren und hart mit allen Beteiligten verhandeln. "Das wird eine Herausforderung für die Partei", sagt ein SPD-Insider. "Da wirds richtig knallen."
Die Ypsilanti-Falle
Bislang hat sich Schmid die Frage nach der Linken noch offengehalten. Er will nicht in die Ypsilanti-Falle tappen. Ausgeschlossen hat er deshalb gar nichts. Wie groß sein Bestreben wäre, machte er im TV-Duell klar: "Ich will nun wirklich nicht mit der Linkspartei regieren. Da habe ich gar keine Lust drauf." Der Satz war einstudiert. Trotzdem klang es, als käme er aus dem Bauch. Aus dem Bauch eines soliden Finanzpolitikers. Er weiß, dass Projekte, die die Linken wollen, irre viel Geld kosten würden.
Also doch lieber die große Koalition? Doch lieber den Mann noch einmal zum Ministerpräsidenten machen, der sich nicht beherrschen könne? Die Parteilinke hat vorgesorgt. Auf dem Landesparteitag in Ulm brachte sie einen Antrag durch, der einen Mitgliederentscheid über eine mögliche Koalitionsvereinbarung vorsieht. Denn als 1966 schon einmal eine große Koalition gebildet werden sollte, war die Basis auch dagegen. Trotzdem wurde die Regierungsbildung durchgezogen. 1992 war es ähnlich. Und am Ende der Zusammenarbeit war es die CDU, die wiedergewählt wurde.
Frühere SPD-Spitzenleute raten Schmid von einer großen Koalition ab. Dieter Spöri war selbst dreimal Spitzenkandidat. 1992 holte die SPD mit ihm 29 Prozent und ging mit der CDU ein Bündnis ein. Spöri war Wirtschaftsminister und Stellvertreter von Ministerpräsident Erwin Teufel. "Die Regierungsarbeit kann noch so gut gewesen sein - am Ende flog doch die SPD aus der Regierung." Zu viel Nähe, zu wenig Kontrast sei für die Sozialdemokraten schädlich. "Man sollte vermeiden, dass man mit der Union zusammengeht."
Egal wie er sich entscheidet, eine ausgewogene Lösung wird Schmid nicht finden. Vielleicht muss er dann doch zum ersten Mal laut werden, um zu führen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen