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SPD-Politiker Schneider über Integration"Deutschland ist ein Einwanderungsland"

Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) wirft der Union Stammtischparolen vor. Auf Kosten von Minderheiten. Ein Punktesystem will er aber auch nicht haben.

Multi-Kulti ist nicht gescheitert, sondern Realität. Bild: dapd
Pascal Beucker
Interview von Pascal Beucker

taz: Herr Schneider, warum wird zurzeit so erregt über Integration diskutiert?

Guntram Schneider: Zum einen geht es um reale Probleme: Die konkrete Integrationspolitik hat viel zu spät eingesetzt, weil die Politik zu lange dem Irrglauben anhing, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Viele in der Union wollen das ja bis heute nicht wahrhaben. Zum anderen wird hier perfide versucht, aus der Diskreditierung gesellschaftlicher Minderheiten politisch Kapital zu schlagen.

Wen meinen Sie?

Bei Herrn Seehofer und seiner Partei sieht man das beispielsweise sehr deutlich. Die meinen, sie müssten den deutschen Stammtisch bedienen, um aus einem politischen Loch herauszukommen. Ich halte es für unverantwortlich, wenn bisherige Integrationserfolge kurzfristigen politischen Profilierungsinteressen geopfert werden.

In Teilen der Bevölkerung kam auch Merkels Aussage, Multikulti sei gescheitert, gut an.

Ich kann mit einem solchen Testat nichts anfangen. Wer sagt, Multikulti ist gescheitert, kann auch behaupten, zwei mal zwei ist nicht vier. Wir leben doch in einer multikulturellen Gesellschaft. Schauen Sie mal nach Düsseldorf: Hier sind weit über 130 Nationalitäten zu Hause, entsprechend bunt ist auch das Leben. Wie organisieren wir ein möglichst spannungsarmes Zusammenleben sehr unterschiedlicher Menschen? Das ist die Frage. Die Geschäftsgrundlage dafür sind unsere Rechtsordnung und die Verfassung.

Bild: dapd
Im Interview: 

Guntram Schneider, 59, ist seit Juli Minister für Arbeit, Integration und Soziales in Nordrhein-Westfalen. Zuvor war er DGB-Landeschef.

Was bedeutet das konkret?

Die Integrationspolitik der rot-grünen Landesregierung hat drei zentrale Elemente: Erstens geht es um Bildung. Ausgehend von den Kindergärten muss sichergestellt sein, dass kein Kind eingeschult wird, das nicht die deutsche Sprache kann. Zweitens geht es um Arbeit. Wir müssen mehr für berufliche Qualifizierung tun, damit Menschen mit Migrationshintergrund besser auf dem ersten Arbeitsmarkt Platz finden. Drittens wollen wir die Möglichkeiten an gesellschaftlicher Teilhabe und Beteiligung erhöhen, zum Beispiel über das kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer. Außerdem wollen wir die Übernahme von Doppelstaatsangehörigkeiten erleichtern.

Sie sind Nachfolger des Christdemokraten Armin Laschet, dessen Integrationspolitik gelobt wurde. Sind seine Schuhe nicht etwas zu groß für Sie?

Nein, überhaupt nicht. Laschet hat Marken gesetzt, an die man anknüpfen kann, das ist keine Frage. Allerdings liegen bei mir die Akzente etwas anders. Mir geht es um eine Integrationspolitik von unten - ausgehend von dem, was die Menschen erleben. Im nächsten Jahr werden wir ein Integrationsgesetz in den Landtag einbringen, um Integration auf verbindliche Beine zu stellen. Hierüber werde ich einen breiten Diskurs mit allen gesellschaftlichen Kräften und besonders mit den selbst organisierten Menschen mit Migrationshintergrund initiieren.

Wirtschaftsminister Brüderle fordert ein Punktesystem, um Hochqualifizierte ins Land zu holen. Was halten Sie davon?

Wir brauchen ein solches Punktesystem im Moment nicht. Der drohende Fachkräftemangel muss primär dadurch bekämpft werden, dass man die Menschen, die hier sind, qualifiziert. Das gilt gerade auch für Menschen mit Migrationshintergrund: Ihre Arbeitslosenquote ist fast dreimal so hoch wie der Durchschnitt. Das ist einfach nicht akzeptabel.

Darüber hinaus wären wir schon ein Stück weiter, wenn wir uns endlich ernsthaft der Anerkennung ausländischer Abschlüsse und Diplome widmen würden. Wir haben allein in NRW 130.000 Menschen mit ausländischen Abschlüssen, die darauf warten, dass diese Qualifikationen anerkannt werden. Hier gibt es ein großes Reservoire an Fachkräften, das wir im Interesse unserer Wirtschaft auch heben müssen.

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7 Kommentare

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  • P
    Peter

    Das immer wieder zitierte Schreckgespenst des demographischen Wandels betrifft eigentlich nur eine kleine Bevölkerungsgruppe: Politiker, Banker und Industrielle. Die wollen genügend billige Arbeitskräfte, Steuerzahler, Kunden, sprich Menschenmaterial haben, egal woher und egal mit welchen Auswirkungen auf den Rest der Bevölkerung.

     

    Otto-Normalmensch kann es egal sein, ob wir nun ein paar Millionen weniger sind, im Gegenteil, es gäbe mehr freie Wohnungen, mehr Platz für jeden einzelnen, weniger Stau, usw.

  • O
    Offenbarer

    Die Moblität der Menschen wird in Zukunft weiter zunehmen. Ein-/Auswanderung aus nationalen Staaten ist eine Betrachtungsweise der Vergangenheit. Selbst nationale Staaten als Form der Gesetzgebung und Organisation fangen an sich aufzulösen.

    Was bleibt sind Werte und eine Form von Ethik zu denen sich Gruppen von Menschen bekennen. Diese Gruppen kann man Völker, Religionen oder sonst wie benennen und einzuordnen versuchen.

    Bei Mangel von Ressourcen werden sich diese Gruppen im Kampf um diese Ressourcen bekämpfen. Jetzt ist es Macht, Öl als ökonomischer Energieträger und Geld als Zahlungsmittes (ohne Eigenwert). Zukünftig sind es Nahrungsmittel jeglicher Form und Wasser.

    Die stärkste Gruppe wird überleben können.

    Natur mit dem Gesetz "the fittest will survive" ist eben gültig.

    Also warten wir mal ab, wenn Aldi und Lidl etc. geplündert sind und brennen und nichts mehr geliefert wird, die Youth Bulge Horden Häuser plündern, Bewohner erschlagen, Essbares suchen ...

    ... irgendwann wird nichts mehr gefunden ... dann beginnt das Sterben dieser Gruppen.

    Die Menschen in Verstecken mit dem Wissen über Zusammenhänge des Lebens bekommen eine neue, gereinigte Welt.

  • K
    Kati

    @Euromeyer: Sie lesen Ihre tägliche taz. "Bedeutungsverlusst-und Zukunftsängste treiben wieder viele..". Das ist exakt, was die Propaganda uns seit Wochen vorsagt.

  • H
    Hatem

    "Menschen mit Migrationshintergrund: Ihre Arbeitslosenquote ist fast dreimal so hoch wie der Durchschnitt."

     

    Diese Aussage ist in dieser Pauschalität nicht richtig, sondern trifft nur für eine bestimmte, allerdings recht große Gruppe von Migranten zu.

     

    Und genau das ist der Grund, warum wir endlich eine STEUERUNG der Zuwanderung brauchen. Kurz: Ein Punktesystem.

  • A
    audio001

    Niemand hat in diesem Land jemals darüber (politisch) entschieden, dass wir ein "Einwanderungsland" sind!- Das wäre jedoch eine gute Frage, die der Souverän beantworten könnte und die man in einer Volksabstimmung zur Abstimmung stellen könnnte....

  • B
    Berthold

    Dann soll der Minister sein fettes Ministergehalt (womöglich hat er auch noch ein Abgeordentengehalt??) doch mal bis auf den Hartz-IV-Satz als Spende in die Sozialkasse integrieren, damit bildungsferne ZuwanderInnen Bildung bezahlt bekommen.

  • E
    Euromeyer

    Es hilft nicht, sich in der Heimatfilmidylle einer nie so gewesenen Eiche-rustikal-BRD breit zu machen.

    Nur eine für neue gestalterische Kräfte offene Gesellschaft hat Zukunft.

     

    Bedeutungsverlusst-und Zukunftsängste treiben wieder viele in die Arme christlich-abstammungsnationalistischer Sozialdarwinisten wie zu Beginn des letzen Jahrhunderts,als viele mit in den Schwulst ritterromantischer Vergangenheitsverklärung flüchteten,weil sie sich mit der Modernisierung der Gesellschaft nicht abfinden wollten. (Emazipationsbestreben in Teilen der Bevölkerung, Massenzuzug Fremder,Expansion neuer soziale Schichten, Wichtigkeitsverlust traditioneller Lebensweisen und Wertewandel

    -alles schon mal gehabt).

     

    Deutschland ging daraus gestärkt hervor,bis es Moderneverachtende zwei Mal ruinierten.

     

    Deswegen dürfen die Ängstlichen auf der Fahrt in die Zukunft nicht wieder den Loreleygesängen Vorgestriger erliegen!

     

    Und an Wagner kommt eh keine heutige Sarrazinsirene heran-die Zukunftsmusik spielt nicht auf Haselnuss sondern auf Buntholz.