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SPD-Parteitag in DresdenDie große Abrechnung

In Dresden haben die Delegierten des SPD-Parteitags mit ihrer Führung abgerechnet. Besonders die Kungelei und Selbstherrlichkeit der Spitzengenossen stand auf der Beschwerdeagenda.

Stand ebenfalls in der Kritik: Die designierte Generalsekretärin Andrea Nahles. Bild: reuters

DRESDEN dpa | Wegen des Debakels bei der Bundestagswahl hat die SPD-Basis beim Parteitag in Dresden mit der Führung abgerechnet. In einer Aussprache zur Abschiedsrede des Vorsitzenden Franz Müntefering wurde am Freitag vor allem die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik während der elfjährigen Regierungszeit der SPD kritisiert.

Der neue SPD-Bundestags-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier meinte im TV-Sender Phoenix, die Kritik sei nicht so heftig ausgefallen wie vor dem Parteitag befürchtet. Der zum linken Parteiflügel gehörende Delegierte Gernot Grumbach sagte, die Partei solle aufhören, "nach Schuldigen zu suchen", sondern ihre derzeitigen Probleme beschreiben.

Ulrike Nissen vom Landesverband Hessen-Süd sagte an die Adresse des bisherigen Parteivorsitzenden Müntefering, sie hätte sich mehr Selbstkritik gewünscht. Insgesamt wurde die Rede von Müntefering bei der Aussprache aber kaum ins Visier genommen. Die frühere DGB-Vize Ursula Engelen-Kefer verlangte eine Umkehr bei der Rente mit 67, bei Hartz IV und bei Mindestlöhnen und Leiharbeit. "Die Rente mit 67 steht synonym für Armut im Alter", sagte sie.

Der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Conradi ging die Parteispitze frontal an. Er verlangte entschieden mehr Kraft zum personellen Neubeginn. Die Wähler hätten darauf reagiert, dass die derzeit führenden Sozialdemokraten das eigene Parteiprogramm nicht mehr ernst nähmen. In der Liste der 58 Namen für den zur Wahl stehenden Parteivorstand fänden sich lediglich elf neue. Die Zahl der Wähler und Parteimitglieder nehme ab, die Zahl der Mitglieder an der Parteispitze zu.

Der bayerische Delegierte Sebastian Roloff kritisierte die Art und Weise, wie ein kleiner Kreis in einem Akt der Selbstausrufung Frank-Walter Steinmeier wenige Tage nach dem Wahldebakel zum Fraktionsvorsitzenden gemacht habe. Er forderte eine neue Diskussionskultur. Conradi kritisierte: "Auch im Vorstand sitzen viel zu viele, die immer nicken, abnicken", was die anderen vorgäben. André Kavai vom Landesverband Hessen-Süd sagte, zum Teil hätten diejenigen, die die schlechtesten Wahlergebnisse einfuhren, anschließend die größte "Schnauze" gehabt.

Der SPD-Linke Ottmar Schreiner hielt seiner Partei vor, den Menschen der Unterschicht keine Perspektiven bieten zu können. Er verlangte erneut die Einführung der Vermögensteuer.

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10 Kommentare

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  • A
    Andreas

    Ich denke, dass diese Show eher zur Ratlosigkeit bei den Wählern beiträgt, als zur Klärung. Die SPD hat mit einem bürgerlichen Kurs der Mitte mehr soziale Millieus verloren, als sie neue gewinnen konnte. Und die SPD hat mit Hartz-IV eine nicht funktionierende Arbeitsmarktreform durchgeknüppelt, die intern nie beliebt war. Dass bei Hartz-IV ca. 8 Millionen Menschen oft diese massive Dysfunktion des Sozialstaats erleben, entgeht dem durchschnittlichen SPD-Funktionär. Vielleicht wollen die meisten SPD-Politiker davon auch nichts mehr hören.

    Aber da hat Schreiner recht: Einem Menschen aus einer unteren sozialen Schicht bietet die SPD praktisch nichts mehr an. Und genau diese Schichten weiten sich aus. Die Probleme dort nehmen auch zu - wer bietet diesen Menschen politische Lösungen an?

    Die SPD jedenfalls nicht mehr, die Linke kann zum Teil dort Boden gewinnen, aber im Großen ziehen sich viele Menschen aus der Politik zurück und das gibt einem polyzentrischen Parteiensystem weiter auftrieb.

    In so einem System hat die SPD aber nicht nur Konkurrenz, sie kann auch nur Kompromiß-Regierungen bilden und ihre karriere-hungrige Funktionärsschicht schlechter bedienen. Das wird die Partei sehr bald sehr deutlich merken.

    Mindestens eines könnte die SPD aber machen: Sie könnte besser kommunizieren, sie könnte aufhören geballte Ratlosigkeit zu radiieren und sie könnte durchaus viele der Agenda-Politiker abwählen. Das Zeichen muss nämlich stark sein. Gabriel ist da auch nicht gerade der Hit. Der Mann hat viele Defizite und ist bislang mit großer Selbstgefälligkeit aufgefallen. Der müsste also auch viel an sich ändern, damit er der Partei wirkliche Sympathien eintragen kann.

  • R
    ralf

    @Nicolas:

     

    Ja dann tu das doch. Nur ohne die SPD hat die Linke auch keine Regierungsoption. Und die Meinung über den Afghanistaneinsatz ist nunmal ein großer Unterschied zwischen Linke und SPD.

    Wenngleich die Haltung der SPD allem Anschein nach kritischer zu werden scheint.

     

    Die SPD hat den Anspruch einer Volkspartei. Da gibt es nunmal auch religiös angehauchte Sozis. Gibt es bei den Grünen ja auch. Ich selber bin da eher Atheist und finde das nich so gut, aber die SPD ist hald keine Partei der Atheisten. Also, richtig, was ist links? Verdammt viel. Darum streiten die Linken in der Linkspartei doch auch. Fundis und Realos...

    Und das ist ja die Kinderkrankheit der politischen Linken, wozu ich SPD, Grüne und Linke zähle.

  • A
    audio001

    Andrea Nahles, der Schwachpunkt der personellen Erneuerung in der SPD!

     

    Auf den inhaltlichen Erneuerungsprozess wird inzwischen sehr stark von der Parteibasis her Einfluss genommen; der personelle ist von der alten Parteiführung, an der Parteibasis vorbei, in Szene gesetzt worden!

     

    Für Sigmar Gabriel gilt der Satz quer durch die Partei: Er hat eine Chance verdient!- Bei Andrea Nahles ist schwerlich deutlich erkennbar, dass sie die Fähigkeiten und die Qualifikation mitbringt, dieses wichtige Amt tatsächlich ausüben zu können!

     

     

    Hier dämmerte, ob des Wahlergebnisses für Andrea Nahles in Dresden, offensichtlich inzwischen auch dem einen oder anderen Delegierten, dass sie nicht nur über die Medien zu der Gallionsfigur des "linken Lagers" in der SPD hochstilisiert wurde, sondern, dass möglicherweise hierbei auch innerparteiliches Kalkül die Regie geführt haben könnte.

     

    Es also nicht nur der Eitelkeit der Andrea Nahles und ihres persönlichen politischen Umfeldes geschuldet war ihr eigenes Bild in der Öffentlichkeit so gepflegt zu sehen, sondern, dass es auch andere politische Kräfte in der SPD gab, die Wert darauf gelegt haben dass sich dieses Bild der Andrea Nahles in der Öffentlichkeit weiter fortschreibt!?

     

    Und letzteres mag dann nicht ganz uneigennützig gewesen sein! Denn mit einem politischen Leichtmatrosen der von der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen wird - und Andrea Nahles ist mit Sicherheit kein politisches Schwergewicht, das Öffentlichkeit für linke Ideen begeistern kann - ist einfacher umzugehen, als mit einem Politiker des linken Lagers in der SPD, der diese Gedanken in vermittelbare Politik umzusetzen vermag!

     

    Hier könnte also, für eine interessierter Seite in der Partei, der Gedanke Pate gestanden haben: Wenn man sich schon mit einer linken Opposition in der eignen Partei auseinandersetzen muss, dann bestimme man seinen Gegner lieber selber!- Und ein Schwacher, ist besser als ein Starker!

     

     

    Die Delegierten auf dem Bundesparteitag in Dresden haben gewählt;- es wird sich zeigen ob ihre Entscheidung richtig oder falsch war!?

  • A
    Antoni

    Erst 'groß abrechnen', und dann als Stimmvieh brav die wählen, die sich selbst ernannt haben. Welch gelebte Demokratie.

  • N
    Nicolas

    ich sehe den ganzen tag phoenix. leider wird die übertragung der diskussion durch interviews mit den 'entscheidungsträgern' unterbrochen. aber man bekommt trotzdem einiges über interne strukturen der spd mit, zb. ein delegierter, der äußerte, sich auf einem früheren parteitag für ein verbot von landminen eingesetzt zu haben, dafür eine mehrheit in aussicht hatte, aber von der parteiführung zurückgepfiffen wurde. so weit zu den themen 'demokratie' und 'frieden' bei der spd. nahles kenne ich wegen ihres berliner engagements 'pro-reli' gegen wowereit. das soll 'links' sein? und gabriel hat sicherlich gewicht, aber war bei den wahlen engagierter kämpfer für den krieg in afghanistan. die beiden als neue hoffnungsträger? da wähle ich lieber weiter links.

  • A
    Andreas

    Ich denke, dass diese Show eher zur Ratlosigkeit bei den Wählern beiträgt, als zur Klärung. Die SPD hat mit einem bürgerlichen Kurs der Mitte mehr soziale Millieus verloren, als sie neue gewinnen konnte. Und die SPD hat mit Hartz-IV eine nicht funktionierende Arbeitsmarktreform durchgeknüppelt, die intern nie beliebt war. Dass bei Hartz-IV ca. 8 Millionen Menschen oft diese massive Dysfunktion des Sozialstaats erleben, entgeht dem durchschnittlichen SPD-Funktionär. Vielleicht wollen die meisten SPD-Politiker davon auch nichts mehr hören.

    Aber da hat Schreiner recht: Einem Menschen aus einer unteren sozialen Schicht bietet die SPD praktisch nichts mehr an. Und genau diese Schichten weiten sich aus. Die Probleme dort nehmen auch zu - wer bietet diesen Menschen politische Lösungen an?

    Die SPD jedenfalls nicht mehr, die Linke kann zum Teil dort Boden gewinnen, aber im Großen ziehen sich viele Menschen aus der Politik zurück und das gibt einem polyzentrischen Parteiensystem weiter auftrieb.

    In so einem System hat die SPD aber nicht nur Konkurrenz, sie kann auch nur Kompromiß-Regierungen bilden und ihre karriere-hungrige Funktionärsschicht schlechter bedienen. Das wird die Partei sehr bald sehr deutlich merken.

    Mindestens eines könnte die SPD aber machen: Sie könnte besser kommunizieren, sie könnte aufhören geballte Ratlosigkeit zu radiieren und sie könnte durchaus viele der Agenda-Politiker abwählen. Das Zeichen muss nämlich stark sein. Gabriel ist da auch nicht gerade der Hit. Der Mann hat viele Defizite und ist bislang mit großer Selbstgefälligkeit aufgefallen. Der müsste also auch viel an sich ändern, damit er der Partei wirkliche Sympathien eintragen kann.

  • R
    ralf

    @Nicolas:

     

    Ja dann tu das doch. Nur ohne die SPD hat die Linke auch keine Regierungsoption. Und die Meinung über den Afghanistaneinsatz ist nunmal ein großer Unterschied zwischen Linke und SPD.

    Wenngleich die Haltung der SPD allem Anschein nach kritischer zu werden scheint.

     

    Die SPD hat den Anspruch einer Volkspartei. Da gibt es nunmal auch religiös angehauchte Sozis. Gibt es bei den Grünen ja auch. Ich selber bin da eher Atheist und finde das nich so gut, aber die SPD ist hald keine Partei der Atheisten. Also, richtig, was ist links? Verdammt viel. Darum streiten die Linken in der Linkspartei doch auch. Fundis und Realos...

    Und das ist ja die Kinderkrankheit der politischen Linken, wozu ich SPD, Grüne und Linke zähle.

  • A
    audio001

    Andrea Nahles, der Schwachpunkt der personellen Erneuerung in der SPD!

     

    Auf den inhaltlichen Erneuerungsprozess wird inzwischen sehr stark von der Parteibasis her Einfluss genommen; der personelle ist von der alten Parteiführung, an der Parteibasis vorbei, in Szene gesetzt worden!

     

    Für Sigmar Gabriel gilt der Satz quer durch die Partei: Er hat eine Chance verdient!- Bei Andrea Nahles ist schwerlich deutlich erkennbar, dass sie die Fähigkeiten und die Qualifikation mitbringt, dieses wichtige Amt tatsächlich ausüben zu können!

     

     

    Hier dämmerte, ob des Wahlergebnisses für Andrea Nahles in Dresden, offensichtlich inzwischen auch dem einen oder anderen Delegierten, dass sie nicht nur über die Medien zu der Gallionsfigur des "linken Lagers" in der SPD hochstilisiert wurde, sondern, dass möglicherweise hierbei auch innerparteiliches Kalkül die Regie geführt haben könnte.

     

    Es also nicht nur der Eitelkeit der Andrea Nahles und ihres persönlichen politischen Umfeldes geschuldet war ihr eigenes Bild in der Öffentlichkeit so gepflegt zu sehen, sondern, dass es auch andere politische Kräfte in der SPD gab, die Wert darauf gelegt haben dass sich dieses Bild der Andrea Nahles in der Öffentlichkeit weiter fortschreibt!?

     

    Und letzteres mag dann nicht ganz uneigennützig gewesen sein! Denn mit einem politischen Leichtmatrosen der von der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen wird - und Andrea Nahles ist mit Sicherheit kein politisches Schwergewicht, das Öffentlichkeit für linke Ideen begeistern kann - ist einfacher umzugehen, als mit einem Politiker des linken Lagers in der SPD, der diese Gedanken in vermittelbare Politik umzusetzen vermag!

     

    Hier könnte also, für eine interessierter Seite in der Partei, der Gedanke Pate gestanden haben: Wenn man sich schon mit einer linken Opposition in der eignen Partei auseinandersetzen muss, dann bestimme man seinen Gegner lieber selber!- Und ein Schwacher, ist besser als ein Starker!

     

     

    Die Delegierten auf dem Bundesparteitag in Dresden haben gewählt;- es wird sich zeigen ob ihre Entscheidung richtig oder falsch war!?

  • A
    Antoni

    Erst 'groß abrechnen', und dann als Stimmvieh brav die wählen, die sich selbst ernannt haben. Welch gelebte Demokratie.

  • N
    Nicolas

    ich sehe den ganzen tag phoenix. leider wird die übertragung der diskussion durch interviews mit den 'entscheidungsträgern' unterbrochen. aber man bekommt trotzdem einiges über interne strukturen der spd mit, zb. ein delegierter, der äußerte, sich auf einem früheren parteitag für ein verbot von landminen eingesetzt zu haben, dafür eine mehrheit in aussicht hatte, aber von der parteiführung zurückgepfiffen wurde. so weit zu den themen 'demokratie' und 'frieden' bei der spd. nahles kenne ich wegen ihres berliner engagements 'pro-reli' gegen wowereit. das soll 'links' sein? und gabriel hat sicherlich gewicht, aber war bei den wahlen engagierter kämpfer für den krieg in afghanistan. die beiden als neue hoffnungsträger? da wähle ich lieber weiter links.