piwik no script img

SPD-Parteitag huldigt BeckIst ja gut!

Das Parteivolk begeistert sich für Kurt Beck. In Hamburg wird er endlich zum unumstrittenen Chef der deutschen Sozialdemokratie.

Der Gewinner. : ap

Kurt Beck steht jetzt ganz vorn auf der Bühne. Er zieht alle Blicke im Saal allein auf sich. Die mehr als 500 Parteitagsdelegierten schauen aber nicht nur zu ihren Vorsitzenden auf, sie legen sich ihm zu Füßen. Sie bejubeln ihn frenetisch, so als habe er vor ihren Augen die sozialdemokratische Krise gerade in einem schwarzen Zylinder verschwinden lassen. Dabei steht Kurt Beck mit leeren Händen vor seinen Genossen. Er hebt sie beschwichtigend in die Luft. Ist ja gut, bedeutet er, fünf Minuten Beifall sind genug. Gewinner gönnen sich gern großzügige Gesten. Der Saal berauscht sich jedoch weiter. Selbst der 88-jährige Altkanzler Helmut Schmidt in der ersten Reihe ist aufgestanden. Das ist eine Ehrerbietung erster Klasse.

Schmidt tut nie etwas, was man von ihm erwartet, er hält sich schon lange nicht mehr an Regeln. Seit drei Stunden zieht er unaufhörlich an seinen geliebten Mentholzigaretten, trotz strengen Rauchverbots im gesamten Congress Center Hamburg. Jetzt stützt er sich mit der rechten Hand auf seinen Stock, in seiner linken qualmt eine Kippe. Er nickt kurz mit dem Kopf. Offenbar ist auch der weltgrößte Welterklärer nicht ganz unzufrieden. Neben ihm klatscht Gerhard Schröder in die Hände und lacht. Es ist nicht ganz klar, worüber Schröder sich mehr freut: über den Auftritt des SPD-Chefs oder über das Altherrenrebellentum von Schmidt.

Worte zum Parteitag

Der Selbstkritische

"Geben wir es ruhig zu, wir haben es ihm sicher nicht immer leicht gemacht."

Michael Naumann, SPD-Spitzenkandidat für die Hamburger Bürgerschaftswahl, zur Lebensleistung des ehemaligen SPD-Kanzlers Gerhard Schröder.

Noch ein Selbstkritischer

"Michael Naumann hat ja recht. Ihr habts mir nicht immer leicht gemacht. Aber ich euch auch nicht."

Der Alt-SPD-Vorsitzende

Der Urheber

"Ihr seid das Original. Die anderen sind das Plagiat. Nicht mehr."

Derselbe lobt die von ihm angeschobenen Reformen.

Der Arbeiterfreund

"Jeder, der den Gewerkschaften das Kreuz brechen will, wird am sozialdemokratischen Widerstand scheitern."

SPD-Generalsekretär Hubertus Heil

Der liberale Witzbold

"Ratlos vor dem Fernseher streiten wir, wer seinen Auftritt schlimmer vermasselt hat: Oliver Pocher, Kurt Beck oder Harald Schmidt."

FDP-Generalsekretär Dirk Niebel

Kurt Beck hat gerade seine fast zweistündige Grundsatzrede zur Lage der SPD beendet. Es war ein typisch deutsches Vorsitzendenreferat: zu lang, zu vollständig, zu öde. Trotzdem ist es auf der nach unten offenen Kurt-Beck-Redeskala im oberen Drittel einzuordnen. An diesem Tag reichte dem SPD-Vorsitzenden ein für seine Verhältnisse guter, an manchen Stellen sogar leidenschaftlicher Vortrag, um die Delegierten immer wieder in Stimmung zu versetzen. Die Delegierten waren aber auch mit dem festen Willen nach Hamburg gereist, sich in Stimmung versetzen zu lassen. Sie wollten ihren Vorsitzenden nach all dem Ärger und Frust der letzten Wochen (Monate? Jahre?) einfach feiern. Sie wollten die wichtigste Rede dieses, wie Beck kurzerhand selbst sagte, "historischen Parteitags" wichtig nehmen. Sie jubelten sogar, als ihr Vorsitzender die "Dreigliedrigkeit des deutschen Bankenwesens" verteidigte.

Und so kommt es, dass nach diesem Auftritt alle Macht der SPD endgültig in den Körper ihres Vorsitzenden gefahren ist. Als er da so ganz allein auf der Bühne steht, nimmt er die Huldigung der Partei entgegen. Er ist jetzt der unumstrittene Herrscher über die Sozialdemokratie. Minuten später verlässt Gerhard Schröder den Parteitag. Er hat Termine, bei Gazprom, Putin, dem jordanischen König, was auch immer. Beim Hinausgehen wird er von Kameras bedrängt. Journalisten wollen von ihm wissen, wie er Becks Rede fand. Schröder ignoriert die Frage nicht einmal. Er weiß, er hat hier heute nichts mehr zu sagen.

Seine Rede hatten die Parteitagsstrategen auf den Freitagmorgen gelegt. "Grußwort: Gerhard Schröder" stand für 9.30 Uhr im Programm. Ursprünglich sollte der rot-grüne Altkanzler am Sonnabend reden, die Verschiebung wurde mit Terminschwierigkeiten begründet. Darin lag etwas Symbolhaftes: Schröder war plötzlich das Vorprogramm zu Beck. Schröder entledigte sich dieser Aufgabe mit lässiger Eleganz. Ja, ja, es stimme, die Partei habe es ihm als Kanzler nicht immer einfach gemacht, sagte er. "Aber ich euch auch nicht." Dann folgten ein paar Sätze von allgemeiner Gültigkeit ins sozialdemokratische Stammbuch. Dass es keinen Widerspruch zwischen Programmatik und Regierungshandeln geben dürfe. Dass die SPD ihre Werte nur in der Regierung durchsetzen könne. Dass das Land immer dann vorangekommen sei, wenn die Sozialdemokratie die politische Agenda bestimmt habe.

Schröder beschwor, was Wunder, das rot-grüne Erbe, von der Energie- über die Familien- bis hin zur Ausländerpolitik. Er scheint sich darum zu sorgen. Der Union, die er immer nur "die Anderen" nannte, warf er vor, die SPD zu kopieren. "Jetzt tun sie so, als hätten sie das alles erfunden. Das ist nicht redlich", sagte er. Und an seine Partei gewandt: "Bitte lasst das nicht zu. Ihr seid das Original, die anderen sind das Plagiat."

Dieses "ihr" hatte nicht nur etwas Distanzierendes. Darin steckte zugleich eine Selbsterkenntnis Schröders: Ich gehöre nicht mehr dazu. Trotzdem spielte er als Kanzler der Agenda 2010 ein letztes Mal den Schiedsrichter in der Reformfrage. "Die Agenda ist ein Instrument", erklärte er, "sie war nie das Ziel. Also ist sie veränderbar." Also durfte Beck vorschlagen, das Arbeitslosengeld I zu verlängern, heißt das. Wichtig sei dabei nur, dass die Prinzipien der Agenda gewahrt bleiben. "Ich habe den Eindruck, dass das auch passiert." Dann noch ein Lob für Franz Müntefering, "den erfolgreichsten Arbeitsminister in der Geschichte dieses Landes", eine Bitte um Unterstützung für die schwierige Arbeit des Parteivorsitzenden Kurt Beck, und das wars dann. Schröder verabschiedet sich in die Geschichte der SPD.

Die Gegenwart heißt Kurt Beck. Er war an diesem Tag das Hauptprogramm. Er gab der SPD das Ziel vor, die "solidarische Mehrheit" in Deutschland für sich zu gewinnen. Er übertrug ihr den Auftrag, "nah an die Menschen" heranzugehen. Er erinnerte sie daran, dass Freiheit nicht gegen soziale Gerechtigkeit ausgespielt werden dürfe. Und er nannte es "Blödsinn", hinter seinem Kurs einen "Linksrutsch" zu vermuten. "Man kann da und dort nachjustieren, ohne die Substanz der Reformen zu verändern." Drei Stunden nach dieser Rede wird Kurt Beck mit 95,5 Prozent zum SPD-Chef wiedergewählt. Jetzt kann man seine Macht in Zahlen messen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen