SPD-Kultur: Ausrede Mindestlohn

Im Bürgerhaus Obervieland fliegen vier Rentnerinnen raus, die da bisher einen Minijob hatten - wegen des Mindestlohngesetzes, hat ihnen der Geschäftsführer erklärt

Im Bürgerhaus in Obervieland sind alle willkommen, die nicht gerade mehr Lohn bekommen müssten. Bild: kawe

Gisela U. ist stocksauer. Sie ist Rentnerin und seit acht Jahren ist sie im Bürgerhaus Obervieland aktiv. „Ich muss doch auch in Gesellschaft“, sagt sie. Im Bürgerhaus organisiert sie ein Single-Treff und sie verdient sich ein paar Euro dazu: Wenn das Haus geöffnet ist, muss vorn hinter der Tür jemand sitzen und einen Blick dafür haben, wer reinkommt. Auch ein Tresen ist da, hin und wieder will jemand eine Frikadelle oder ein Stück Kuchen. Das heißt „Dielendienst“, ist ehrenamtlich wie vieles im Bürgerhaus und doch gibt es vier Euro die Stunde dafür, als „Aufwandsentschädigung“. Verbucht wird es als Minijob.

Im April kam der Leiter des Bürgerhauses, Stefan Markus, und erklärte den vier Damen vom Dielendienst, dass Ende Mai Schluss sei. Einen Vertrag gibt es nicht, da muss also nichts gekündigt werden. Zur Begründung habe er gesagt, das Mindestlohngesetz komme ja, da ginge das nicht mehr, so Gisela U. „Ich war mit den vier Euro zufrieden“, sagt sie, „ich mochte da alle.“ Ihre Dielendienst-Kollegin Liane sieht das genauso, mit dem Minijob stockt sie ihre kleine Betriebsrente auf.

Dass die Einführung des bremischen Mindestlohn-Gesetzes dazu führt, dass bestimmte Beschäftigungsangebote wegfallen, war eigentlich die Kritik der Handelskammer. Sozialdemokraten, und das Bürgerhaus in Obervieland ist ein Herzstück sozialdemokratischer Stadtteil-Kultur, haben das immer bestritten und gesagt, dass der Mindestlohn dazu führt, dass die Menschen von ihrer Arbeit leben können. Finanziert werden die Bürgerhäuser über das Kulturressort, für das Jens Böhrnsen verantwortlich ist.

Heiner Stahn, Sprecher des Ressorts, sieht das auch so. „Wer 40 Stunden arbeitet, soll davon leben können“, darum gehe es. Wo sich eine Rentnerin ein paar Euro dazu verdient, „da greift das nicht“. Im April habe das Ressort bei den Bürgerhäusern herumgefragt, ob es irgendwo ein Mindestlohn-Problem gebe, im mittelbaren Verantwortungsbereich des Bürgermeisters. Der hat sich bekanntlich wegen des Mindestlohns mit dem Verein Bürgerpark-Tombola angelegt. Da sei auf den Dielendienst in Obervieland hingewiesen worden. Aber die Bürgerhäuser werden von Trägervereinen in eigener Verantwortung geführt.

Stefan Markus, auch Sozialdemokrat, ist hauptamtlicher Geschäftsführer des Bürgerhauses. „Wir möchten diese Arbeit ins Ehrenamt überführen“, sagt er. Mit dem Mindestlohn-Gesetz, das zudem ja noch nicht gelte, habe das nichts zu tun, höchstens „indirekt“. Man habe mit den vier Rentnerinnen „im Einvernehmen“ geklärt, dass sie Ende Mai aufhören. Ab September solle dann das neue Modell funktionieren. Wie, das wisse er derzeit auch noch nicht. Insbesondere müsse sich herausstellen, ob es Menschen gibt, die solche Pfortendienste ehrenamtlich übernehmen. „Wir wollten erst einmal einen Strich machen.“ Vielleicht könnten die, die bisher die „Aufwandsentschädigung“ bekommen, ihren Dienst ja ab September ganz ehrenamtlich machen.

Gefragt hat er sie aber nicht. Damals, im April, waren sie sprachlos über die Kündigung. Jetzt würden sie ihm vermutlich ins Gesicht sagen, wie stocksauer sie sind.

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