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SPD-Europaabgeordneter über TTIP„So gut wie keine Annäherung“

„Ich bin weder für noch gegen TTIP“, sagt Bernd Lange, Europaabgeordneter der SPD. Er sieht vor allem viel Klärungsbedarf.

Greenpeace, hier an einem der Kio Towers in Madrid, hat eine eindeutigere Meinung als Bernd Lange Foto: dpa
Eric Bonse
Interview von Eric Bonse

taz: Herr Lange, seit den jüngsten TTIP-Leaks, die Greenpeace veröffentlicht hat, werden die Kritiker ungewöhnlich hart attackiert. Die Rede ist von Hysterie und Panikmache. Wie sehen Sie das?

Bernd Lange: Nun ist die Position der USA endlich vollständig öffentlich geworden. Es wird deutlich, was ich seit Monaten sage: dass sich die USA immer gegen die Forderungen aus Europa gesperrt haben – und dass es so gut wie keine Annäherung gab.

Die EU-Kommission behauptet, die Leaks gäben nicht den aktuellen Verhandlungsstand wieder. Stimmt das?

Ja. Ich schätze, dass die Papiere den Stand von Ende 2015 wiedergeben. Seitdem ist auf unseren Druck hin einiges passiert, zum Beispiel bei der regulatorischen Zusammenarbeit: Den zunächst geplanten Regulierungsrat wird es so nicht geben. Wer wollte, konnte dies aber auch vor den Leaks schon wissen. Denn das Europaparlament hat durchgesetzt, dass die EU-Positionen im Internet stehen, dort kann man alles nachlesen.

Der US-Handelsbeauftragte Michael Froman behauptet, dass Bewegung in die Verhandlungen gekommen sei. Stimmt das?

Bisher hat man sich nur darauf verständigt, dass Umwelt- und Sozialgesetze keine Verletzung der Rechte von Investoren darstellen – das sogenannte Right to Regulate. Doch der von uns geforderte öffentliche Gerichtshof mit Revisionsmöglichkeit ist ein rotes Tuch für die Amerikaner. Deshalb könnte es gut sein, dass es am Ende gar keinen zusätzlichen Investitionsschutz gibt.

Bild: SPD
Im Interview: Bernd Lange

60, war früher Lehrer. 1994 wurde der SPD-Mann erstmals ins Europäische Parlament gewählt. Er ist Vorsitzender des Handelsausschusses des EP.

Was wird aus dem Vorsorgeprinzip bei Lebensmitteln und Gesundheit, das in der EU gilt?

Das bleibt, daran kann man nicht rütteln. Schließlich ist dies auch im Welthandelsabkommen Gatt und im Lissabon-Vertrag der EU verankert. Die Leaks waren in dieser Frage nicht vollständig. Das gilt auch für die Gentechnik: Davon ist nur im US-Text die Rede, nicht im europäischen. Wir verhandeln darüber gar nicht!

Einige Europaabgeordnete kritisieren, Sie hätten sich längst auf einen Deal mit den USA festgelegt. Was sagen Sie dazu?

Das ist völlig falsch. Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich weder für noch gegen TTIP bin. Es geht darum, ein gutes Abkommen zu erzielen. Wie das aussehen soll, haben wir in einer Resolution des Europaparlaments am 8. Juli 2015 festgelegt. Das ist die Messlatte. Wir können das nicht unterlaufen, sondern müssen darüber springen – oder TTIP scheitert.

Mitunter behaupten Freihandelsgegner, Sie hätten mit der Resolution für TTIP gestimmt.

Auch das ist völlig falsch. Wir haben als Parlament viel mehr Anforderungen an das Abkommen gestellt. Keine Resolution zu verabschieden hätte bedeutet, die EU-Kommission ohne jedwede Auflage durch das Parlament allein verhandeln zu lassen – ein unhaltbarer Zustand. Diejenigen, die gegen die Resolution gestimmt haben, ignorieren das. Dies müssen wir in der öffentlichen Debatte dringend klarstellen.

Die Bundesregierung beharrt auf einem Abschluss noch in diesem Jahr. Ist das noch möglich?

Ich halte nichts von solchen zeitlichen Vorgaben. Kanzlerin Merkel hat auch schon gesagt, dass TTIP bis Ende 2015 fertig sein soll. Hier gilt wie im Straßenverkehr: Sicherheit vor Schnelligkeit.

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7 Kommentare

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  • Am einfachsten wäre doch, wenn Europa einfach weiter macht und früher oder später sich die USA an Europa angleichen müssen. Europa sollte einen "Friends of the EU" Club gründen, und anderen Staaten mit der Angleichung an EU Standards helfen. Kein Mensch will in Zoll und Meile messen.

    • 4G
      4932 (Profil gelöscht)
      @Ansgar Reb:

      Guter Vorschlag.

      Da die EU mit Erdogan sowieso nicht weiter kommt, mit Kandidaten wie Polen, Ungarn und Co. auch nicht, sollte sie sich auf ihren Markenkern besinnen, sich nicht zwingen oder einvernehmen lassen und hohe Umwelt- und Sozialstandarts beibehalten.

      Sehr, sehr gerne auch mit weniger als 28 Ländern.

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Noch viele andere Fragen:

    Warum muss dieses Abkommen von allen Ländern der EU abgeschlossen werden und weshalb ist es nicht einzeln kündbar? Wollen die Amerikaner nur den ganzen Brocken Europa, da ihnen kleinere Mengen zu mikrig sind?

    Besonders verdächtig auch der Investitionsschutz. Ein Händler, dessen Ware nicht gemocht wird und nicht gekauft wird, kann dann einfach den Käufer dazu zwingen und ihn verklagen?

    Berufung gegen ein Schiedsgerichtsurteil? Bei welchem Bundesgerichtshof landet dies und was passiert dann?

    Wie ist es auf der nächsten Klimakonferenz zu erklären, daß das Transportvolumen zwischen den beiden Kontinenten trotz aller Bemühungen um Emissionsreduktion erhöht würde? (Europa braucht wirklich keine Hühnchen und Orangen aus USA).

    Weshalb die Eile von Obama und Merkel? Geht es um Einträge in die Geschichtsbücher der beiden oder soll schnell eingepackt werden, was faul ist?

    Was passiert, wenn Europa auseinanderbricht?

    Was passiert, wenn die USA Griechenland verklagen? Wer bezahlt das?

    Ich höre auf, zitiere aber noch den SPON-Artikel über die hohen Hygienestandarts der USA (http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/oxfam-vielen-arbeitern-in-us-gefluegelindustrie-wird-toilettenpause-verwehrt-a-1092346.html).

    • @4932 (Profil gelöscht):

      Schiedsgericht steht außerhalb der Rechtsordnung. Man kann das mehr als ein Handelsstreitbeilegungspanel bezeichnen.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)
    • @10236 (Profil gelöscht):

      Zu den Schiedsgerichten in Deutschland gibt es einige gravierend Unterschiede zu den im Ausland stattfindenden:

      Für Kapital-Firmen ist das Schiedsgericht eine Institution, die es vertraglich ermöglicht, unabhängig von Zivil-Gerichten, mit den Vertragspartnern zu einer Einigung zu kommen.

      Meistens wird der Kapitalgeber bevorzugt, denn er kann im laufenden Verfahren die Weichen im Unternehmen (Orte, Produktionsabläufe etc.) und Verwaltungen inclusive der bevorzugten Manager umstellen. Dadurch wird der andere Partner geschwächt. Kommt es zum Urteil - Der Vorsitzende (meistens ein anerkannter Richter) - gibt den Ausschlag wegen der ungeraden Zahl der Anwälte von Kläger und Beklagtem.

      Jetzt kommt der Unterschied: Das Urteil muss von der regulären Justiz bestätigt werden. Sonst landet der ganze Prozess bei einem ordentlichen Gericht und durchläuft die üblichen Instanzen bis zum Bundesgerichtshof!

  • Wenn man den Politikern nur trauen könnte ... .

     

    Ich will ja nun Wirtschaftsminister Gabriel nicht zum Maßstab machen -vor allem nicht, nachdem nun bekannt wurde, dass er in der Frage der Schiedsgerichte offenbar intern anders redet als extern -, aber irgendwie beschleicht mich leider die Ahnung, dass man nur ganz, ganz wenigen von ihnen wirklich trauen kann.