: SPD: Der Mindestlohn kommt
Arbeitsminister: Koalition bei Mindestlöhnen fast einig. Wirtschaftsminister: Unsinn!
BERLIN taz ■ Die SPD hat sich beim Mindestlohn gegen die Union offenbar durchgesetzt. Es sei jetzt absehbar, wie die beiden Gesetzesnovellen für Mindestlöhne aussehen könnten, sagte Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag. Die Koalitionsspitzen hätten „einen weiteren wichtigen Schritt bei der Umsetzung von Mindestlöhnen vorgenommen“. Scholz betonte, er sei „sehr zufrieden“. Am Mittwochabend hatte der Koalitionsausschuss neben anderen Themen auch über Mindestlöhne beraten (siehe Kasten).
Auch andere SPDler zeigten sich nach der Sitzung euphorisch über den vermeintlichen Sieg: „Grünes Licht“ für die Einführung weiterer Lohnuntergrenzen bejubelte Generalsekretär Hubertus Heil. „Das ganze Gerede von der Blockade ist vorbei.“ Finanzminister Peer Steinbrück sagte: „Wir sind wirklich kurz vor Abschluss dessen, was sich mit dem Thema Mindestlohn beschäftigt.“ Und SPD-Vizevorsitzende Andrea Nahles fügte hinzu: „Das ist für die Sozialdemokraten keine unwichtige Entscheidung.“ Wohl wahr: Mindestlöhne sind für die SPD das Patentrezept, um Niedriglöhne einzudämmen.
Mit zwei Instrumenten will die große Koalition in Deutschland in mehr Branchen Mindestlöhne ermöglichen: mit einer Neufassung des Entsendegesetzes und einer Anpassung des so genannten Mindestarbeitsbedingungengesetzes. Die Union trägt den staatlichen Eingriff in die Tarifautonomie nur unwillig mit. Seit Monaten hängen die vom Arbeitsministerium formulierten Novellen deshalb in der Kabinettsabstimmung fest. Besonders Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) ist ein erklärter Gegner von Mindestlöhnen – er listete über 30 Streitpunkte auf.
In seinem Ministerium kann man den Optimismus der SPD nicht nachvollziehen. „Es gibt bei Schlüsselfragen nach wie vor keine Einigung“, hieß es am Donnerstag in Glos’ Behörde. „Dies betrifft besonders die Frage der konkurrierenden Tarifverträge.“ Sie ist ein Beispiel für die sehr unterschiedlichen Sichtweisen: Wenn in einer Branche mehrere Tarifverträge miteinander konkurrieren, müsse der jeweils niedrigste Mindestlohn eingeführt werden, fordert Glos.
Scholz argumentiert ganz anders. Ein für allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag müsse im Gegenteil andere Tarifverträge mit niedrigeren Löhnen verdrängen, das gebe das EU-Recht vor – sonst könnten beispielsweise auch rumänische Tarifverträge deutsche Mindestlöhne aushebeln.
Trotz solcher Streitigkeiten glaubt Scholz, dass das Kabinett noch im Juli oder August die Gesetzesentwürfe beschließt. Dann muss der Bundestag über sie entscheiden. Auch wenn die Koalition bei den Gesetzestexten einig wird, droht weiterer Streit bei der Frage, für welche Branchen das Entsendegesetz gilt. Bisher haben acht Interesse an einer Aufnahme angemeldet, etwa das Wachschutz- und Zeitarbeitsgewerbe. Bei der Zeitarbeit lehnt die Union Mindestlöhne strikt ab. Eine Arbeitsgruppe aus Regierungs- und Fraktionsmitgliedern soll nun über die Anträge beraten. Die Besetzung spricht für Zoff: Union und SPD teilen sich die Plätze paritätisch auf.ULRICH SCHULTE