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SOMMERFRISCHE UND WINTERHILFE

■ Kultur macht Politik in Berlin und anderswo

„Und Kultur braucht Utopie: Kultur ist Utopie. Der Künstler, der mit seinen handwerklichen Mitteln (...) den Versuch unternimmt, ein Stück Zukunftsentwicklung unserer Gesellschaft in den Giff zu bekommen oder überhaupt einen Zipfel davon zu erlangen, oft ohne sich dessen bewußt zu sein, versucht die Zukunft in die Gegenwart zu holen.“ (Kulturpolitisches Programm der CSU)

„Kunst und Kultur sind von zentraler Bedeutung für Lebenserfüllung und Selbstfindung des Menschen (...) Kunst und Künstler geben Anstöße für neue Entwicklungen in vielen Bereichen der Gesellschaft.“ (Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm der SPD)

„Kunst und Politik stehen zueinander in wechselseitiger Beziehung. Es gibt weder eine Politik, die von Kunst- und Kulturschaffen nicht berührt wurde, noch eine Kunst, die von gesellschaftlichen Entscheidungen nicht betroffen wäre. Kunst war und ist auch gerade in den Höchstleistungen, die sie erbracht hat, niemals unpolitisch gewesen. Indem sie sich mit dem Menschen, seinem Glückstreben, seinen Sorgen und Wünschen auseinandersetzt, erlangt sie bewußtseinsprägende Bedeutung.“ (Kurt Biedenkopf, CDU)

Auszüge aus Eva Krings „unrepräsentativer Erhebung„ zur „kulturpolitischen Aufbruchstimmung in und um die Parteien herum“, die dokumentieren, daß die großen Parteien aus der „Kulturrevolution“ der sechziger und siebziger Jahre gelernt haben. Kultur ist aus dem Schattendasein restaurativer Behaglichkeit herausgetreten, aber der einst befreiende erweiterte Kulturbegriff, der eine neue Politik befördern sollte, ist von einer alten im neuen Gewand vereinnahmt worden. Die, die politische Utopien regelmäßig verhindern, fordern von der Kultur Utopien; die, die ihre Utopien schon längst in zukunftsarmer Pragmatik begraben haben, erhoffen sich „Anstöße für neue Entwicklungen“. In der „Kulturgesellschaft“ scheinen sich Klassengegensätze und politische Feindschaften im vorbehaltlosen Ja! für Kunst und Kultur aufzuheben. Die Sprache, mit der hier gesprochen wird, suggeriert Demokratisierung und alternative Etwürfe. Ein CDU-Politiker fordert die Politisierung des kulturellen Alltags und die Ideologiekritik der Hochkultur ein und zitiert Marx, um ihn weit hinter sich zu lassen: Das kulturell akkumulierte Sein bestimmt das Bewußtsein.

Kultur für alle, das Motto sozialdemokratischer Reform -Kulturpolitik, hieß Biedenkopfs Rede, die er auf einer CDU -Tagung in Nordrhein-Westfalen hielt. Wortklaubereien? Die „konservative“ Kulturpolitik hat sich längst von rückwärtsgewandter Beschaulichkeit unterm Herrgottswinkel entfernt. Claus Leggewie macht in seinem Aufsatz „Kulturgesellschaft - über ein neues Stadium affirmativer Kultur. Anmerkungen zur christdemokratischen Kulturpolitik der neunziger Jahre„ das erschöpfte Sozialprodukt, das Ende des Wohlfahrtsstaats dafür verantwortlich. Kultur soll die Brüche in der Sozialpolitik kitten, ruhigstellen. Der alte Versöhnungsgedanke durch das Schöne, Wahre und Gute wird aufgewärmt, um das Volk mit ungeliebten Technologien anzufreunden, in der Praxis verschwistert sich Kultur- und andere Industrie durch entsprechenden Anreiz vor Ort. Eine standortbenachteiligte Stadt wie Berlin ist geradezu prädestiniert, durch Inszenierung von Kultur ihren Standort zu verbessern, um ihre Wirtschaftskraft zu erhöhen. Selbst ein rhetorisch so charmanter Ex-Senator Hassemer verrät sich da, wo er in Wirtschaftsslang verfällt: „Wir müssen Flächengewinne haben...“, und meint Besucherzahlen Kulturinteressierter.

Die Ära der zweijährigen überschwenglichen Feierkultur in Berlin, die alle Gesellschaftsschichten von alternativ bis affirmativ zu erfassen suchte und eine scheinbare „Avantgarde“ vervolkstümelt hat, als beliebiges Versatzstück im Schlußverkauf, hat bisweilen vergessen lassen, wie hart da kalkuliert wurde mit Erwartungen, Bedürfnissen, um diese selbst für eigene Zwecke zu verramschen. Claus Leggewie: „Kultur für alle? - Der kleine Unterschied zum gleichlautenden sozialdemokratischen Postulat der siebziger Jahre, dessen einst emanzipatorischer Anspruch ja längst in langweiligen Stadtteilfesten, dilettantischen Mitmachaktionen und bankrotten Büchergilden verkümmert ist, liegt allein in der verführerischen Horizontalität kultureller Inszenierungen, in der illusorischen Gleichmacherei der Präsentation kultureller Highlights in den Medien, kurz: in der bloßen Simulation von Durchlässigkeit und Transparenz.“

Eine Simulation, die auch mangelnde Transparenz anderer Politikbereiche kompensieren soll. Kulturpolitik wird zur eigentlichen Innenpolitik, wie Wolfgang Hippe konstatiert. Dabei ist es mehr eine Stilfrage, ob eine solche Innenpolitik christ- oder sozialdemokratisch ausfällt. Im Zeitalter der Arbeitslosigkeit ist der „Umgang mit gefährlichen Potentialen“ (Bremer Kultursenator Franke) zur Überlebensfrage der Parteien geworden. Frankfurts sozialdemokratischer Kulturdezernent Hilmar Hoffmann spricht von „Kultur als Sozialhygiene“, und übernimmt CDU-Konzepte mit der Installierung pompöser Museumsneubauten und einer überflüssigen Kunstmesse. Investition in Kultur fördert nicht nur die Wirtschaft, sondern stabilisiert sie: denn diese „Soziokultur“ integriert, stiftet Sinn und Identität, in schöner Gleichzeitigkeit mit deren systematischer Zerstörung. „Ob Frauenwochen oder Sympathiekampagnen für das Wahlrecht ausländischer Mitbürger, ob Unterstützung alternativer Selbsthilfegruppen oder die Förderung von freien Theatern oder Geschichtswerkstätten - Hauptsache, irgendwelche BürgerInnen machen mit, fühlen sich kompetent, organisieren sich und andere selbstverantwortlich oder konsumieren zumindest kritisch in ihren überschaubaren Bereichen.“ (Hippe) Die gesellschaftliche Kontrolle durch Polizei und Sicherheitsdienste wird in der totalen Soziokultur ersetzt durch den Zwang der permanenten Vernetzung, zur „Kommunikation als moralische Verpflichtung“, wie Hippe Baudrillard zitiert und erklärt: „Kulturpolitik als Innenpolitik will nicht mehr, als daß wir in Verbindung bleiben, daß wir unaufhörlich zueinander sprechen, uns überall zu Hause fühlen, alles wiedererkennen

-wherever you are, you are at home.„

Schreckensvision eines Kulturkonzepts, das einst angetreten ist als gesellschaftspolitische Alternative zur Kulturelite, unter dem Aspekt der Chancengleichheit. Soziokultur, ein „Beschäftigungsfeld für arbeitslose Akademiker“ (Norbert Sievering), die Endstation verfehlter Bildungs- und Hochschulpolitik, ist das getreue Abbild gutgemeinter Reformelei und der lebende Beweis, wie erfolgreich kritische Potentiale durch ABM-Stellen vom Kultur(politik)betrieb aufgesogen werden können. Dabei geht die „Kultur für alle“ längst in einer hektischen „Kultur für alles„-Betriebsamkeit (Hajo Cornels, Stillegung der Kultur bei forciertem Betrieb) unter. Cornels Hoffnung besteht in einem „Nicht-Aufgehen“, einer Kulturpolitik als „Differenz des Wirklichen zum Bestehenden“. Doch wo finden sich die Hoffnungsträger? Immerhin schwangen sich die Grünen, bewährt im Naturschutz, zum Kulturschutz vor der Politik auf, um den Schützling nach langen Kulturdebatten rund um Tagungen und Bundestag in müder Stadtteilgettoveranstaltung und phantasielosem Bürokratismus verenden zu lassen (Eva Krings).

Als eine Antwort auf die alles durchdringende Kulturindustrie und ihre Funktionäre verweist Claus Leggewie wieder einmal auf Adornos Dialektik der Aufklärung. Adornos Bemerkungen, vor über fünfzig Jahren geschrieben, lesen sich wie ein aktueller Kommentar zur liberalen Variante von Kulturpolitik als Innenpolitik: „Niemand wird vergessen, überall sind Nachbarn, Sozialfürsorger, Dr. Gillespies und Heimphilosophen mit dem Herzen auf dem rechten Fleck, die aus der gesellschaftlich perpetuierten Misere durch gütiges Eingreifen von Mensch zu Mensch heilbare Einzelfälle machen, soweit nicht die persönliche Verderbtheit der Betroffenen dem entgegensteht. Die betriebswissenschaftliche Kameradschaftspflege, die schon jede Fabrik zur Steigerung der Produktion sich angelegen sein läßt, bringt noch die letzte private Regung unter gesellschaftliche Kontrolle, gerade indem sie die Verhältnisse der Menschen in der Produktion dem Schein nach unmittelbar macht, reprivatisiert. Solche seelische Winterhilfe wirft ihren versöhnlichen Schatten auf die Seh und Hörstreifen der Kulturindustrie, längst ehe jene aus der Fabrik totalitär auf die Gesellschaft übergreift.“

DoRoh

KULTUR MACHT POLITIK. Wie mit Kultur Stadt/Staat zu machen ist. hg. Agentur für Recherche und Text (A.R.T.), Köln 1988

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