SCHWIMMEN Marco Koch, Weltmeister über 200 Meter Brust, will sich am Sonntag für die Olympischen Spiele in Rio qualifizieren. Dort sollen Goldmedaille und Weltrekord folgen: Lässig auf Sonderwegen
aus berlin Andreas Morbach
Auf dem täglichen Weg zwischen seiner Wohnung und dem Darmstädter Nordbad wirft Marco Koch ab und zu mal einen Blick auf die örtlichen Bauvorhaben. Womöglich entdeckt er ja plötzlich doch irgendwo eine frisch ausgehobene Grube, auf der eine Schwimmhalle entstehen könnte. Die Pläne immerhin liegen in der Schublade, Ende 2016 oder Anfang nächsten Jahres sollen die Bagger für das größere Nordbad anrollen. So recht daran glauben mag der Weltmeister aber nicht. „Rein theoretisch scheint der Bau beschlossen, aber im Moment trainiere ich immer noch auf denselben Wasserflächen“, berichtet Koch mit Skepsis. „Aber wenn ich noch ein paar Jahre durchhalte, kann ich vielleicht in einem neuen Bad schwimmen.“
Der 26-jährige Brustschwimmer grinst, setzt sich das schwarze Käppi mit dem Sponsorenaufdruck auf den Kopf und geht. Der anstrengende Trainingsalltag in dem maroden, öffentlichen Bad, mit Senioren und Darmstädter Schulklassen auf den Nebenbahnen, ist gerade weit weg. Stattdessen macht Deutschlands erfolgreichster Schwimmer der letzten Jahre gerade Halt in Berlin. Die Starts über 100 Meter Brust am Samstag nimmt er dabei als Aufwärmprogramm. „Erst mal schauen, wie die Grundgeschwindigkeit ist“, sagt Koch. Und am Sonntag will er dann die olympische Norm über die doppelte Distanz, seiner Weltmeisterstrecke vom Vorjahr, erfüllen.
Das ist die Pflicht, die Kür soll in drei Monaten in Rio de Janeiro folgen. Nach dem WM-Titel im russischen Kasan peilt Koch den Olympiasieg an, am liebsten in Weltrekordzeit. Mit seiner Siegerzeit in Kasan – 2:07,76 Minuten – war er nicht richtig zufrieden, denn nicht zuletzt die Jagd nach der globalen Spitzenmarke treibt ihn an. Seine 2016er-Bestzeit von 2:07,69 Minuten, die er Ende Januar in Luxemburg vorlegte, hat in diesem Jahr noch kein Spitzenschwimmer annähernd erreicht. „Meine Chancen für Rio stehen wahrscheinlich ganz gut“, schlussfolgert Koch und erklärt auf die Frage, ob er denn auch als Olympiasieger ohne Weltrekord leben könne, grinsend: „Damit würde ich gerade so klarkommen.“
Sein Selbstbewusstsein trägt der große Tüftler im DSV-Team mittlerweile gezielt in die Welt. Und seine kontinuierlich guten Leistungen der letzten Jahre haben ihm bei der Vorbereitung auf die Spiele am Zuckerhut das eine oder andere Sonderrecht eingebracht. So darf er, wie auch die Magdeburgerin Franziska Hentke, eine Woche nach dem Auftritt in Berlin bei der Europameisterschaft in London auf den Startblock treten. Während die EM für die übrigen Rio-Fahrer wegen Unerheblichkeit tabu ist. Stattdessen sollen sie sofort wieder ins Training einsteigen, um spätestens bei den German Open Anfang Juli auch die zweite Teil-Norm zu schaffen.
Marco Koch dagegen darf in der Olympiastadt von 2012 seiner Wettkampflust nachgehen. „Man hat nicht so oft Gelegenheit, einen Vorlauf, ein Halbfinale und ein Finale zu schwimmen – und dort kann ich das noch mal machen“, erklärt er. „Er darf das ganz frei entscheiden“, betont seinerseits Chefbundestrainer Henning Lambertz, der seiner ultimativen Gold-Hoffnung für Rio auch einen Alleingang in Sachen Spätschicht gewährt hat.
Um die Menschen in den USA zur amerikanischen Primetime vor die Fernseher zu locken, beginnen die olympischen Schwimm-Finals in Brasilien erst um 22 Uhr. Fast alle aus der deutschen Mannschaft haben die späten Startzeiten in Rio deshalb längst in ihrer Vorbereitung berücksichtigt und spätabendliche Trainingsphasen in ihr Programm eingebaut. Auch Franziska Hentke und Paul Biedermann, die anderen Medaillenkandidaten des DSV. Marco Koch aber beginnt mit den Einheiten unter Flutlicht erst im Juli. „Für mich ist das kein Problem“, sagt er lässig. „Da muss man sich einfach ein bisschen umstellen.“ Was ihm umso leichter fallen dürfte, als das Nordbad in Darmstadt um diese späte Uhrzeit für Otto Normalschwimmer geschlossen ist.
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