SCHWIMM-WM I Die steigende Zahl der Dopingfälle führt auch bei den Wettbewerben in Kasan zu atmosphärischen Störungen: System gerät ins Schwimmen
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von Andreas Morbach
Es ist in letzter Zeit einiges zusammengekommen in der Schwimmerwelt – an Dopingfällen. Und dabei ziehen die Fahnder neuerdings auffallend viele große Fische aus dem trüben Tümpel. Der aktuellste Fall, publik geworden im Juni, betraf mit Kylie Palmer zudem eine Schwimmerin aus dem bislang als unverdächtig geltenden australischen Team. Der 25-jährigen Staffelolympiasiegerin von Peking wurde durch einen nachträglichen Test die Einnahme einer nicht genannten verbotenen Substanz bei der WM 2013 nachgewiesen. Ihr Verband strich sie daraufhin aus der Mannschaft für die Titelkämpfe in Kasan.
„Der Fall Palmer hat mich schon überrascht. Australien galt immer als eine der Vorzeigenationen für den sauberen Sport“, sagt Henning Lambertz, denkt aber zugleich an den Fall der Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle im eigenen Land und erklärt: „Es kann wirklich mal ein blöder Zufall gewesen sein. Das weiß man eben nicht.“
Was der Chefbundestrainer aber weiß: Die aufgedeckten Dopingfälle im Schwimmsport werden mehr. Zudem gibt der 44-Jährige zu bedenken: „Wenn man das sieht und zudem die Dunkelziffer erkennt, lässt sich erahnen, gegen wie viele man sauber anschwimmt – und ich glaube wirklich, dass wir in Deutschland mit unserem sehr engen Kontrollsystem sauber arbeiten.“ Die logische Folge des Befunds: „Es wird natürlich immer schwieriger, sich gegen andere, die nicht sauber arbeiten, zu behaupten.“
Gegen gestrauchelte Branchenriesen wie Sun Yang: Der chinesische Doppelolympiasieger von London wurde im Mai 2014 positiv auf das verbotene Stimulans Trimetadizin getestet, musste eine dreimonatige Zwangspause einlegen. Oder gegen Südkoreas gefallenen Nationalhelden Park Tae-Hwan: Beim Olympiasieger von Peking über 400 Meter Freistil wurde bei einem Test im Januar das anabole Steroid Nebido nachgewiesen. Er wurde im März rückwirkend für 18 Monate bis zum 2. März 2016 gesperrt. Er verpasst die Weltmeisterschaft ebenso wie die Australierin Palmer.
In Kasan mit von der Partie ist dagegen die russische Brustschwimmerin Julia Jefimowa – nach der Einnahme des verbotenen Steroids Dehydroepiandrosteron im Oktober 2013 für 16 Monate gesperrt und von ihrer litauischen Hauptkonkurrentin Ruta Meilutyte nun kühl empfangen: „Früher hatte ich wirklich Respekt vor ihr. Aber jetzt sehe ich sie nicht mehr als wahre, ehrliche Konkurrentin an.“
Die Szene der Schnellschwimmer, in der Trainingssteuerung, Datenanalyse, Ausdauerwerte und rasche Regenerationsfähigkeit von enormer Bedeutung sind, ist 35 Jahre nach der Hochzeit des Dopings während des Kalten Kriegs vergiftet. Um das zu erahnen, bedurfte es auch nicht mehr der haarsträubenden Bekenntnisse des mittlerweile vom Schwimmsport zurückgetretenen Franzosen Amaury Leveaux, der in seiner Autobiografie unter anderem schrieb: „Einige von uns haben nur von Zeit zu Zeit ein paar Linien gezogen, andere waren auf einer ganzen Autobahn voller Kokain unterwegs.“
Es gibt eine aktuelle Untersuchung zu minimalinvasivem Doping, wo Sportlern ganz kleine Dosen von Doping verabreicht wurden, abends um zehn. Am nächsten Morgen um sechs zeigten sich bei allen Untersuchten Leistungssteigerungen von mehreren Prozent – die Substanzen in ihren Körpern aber waren nicht mehr nachweisbar.
Der deutsche Chefbundestrainer Henning Lambertz
„Wenn man das mal hochrechnet“, sagt Chefbundestrainer Lambertz, „da würden viele unserer Athleten Weltrekorde schwimmen.“ Hinzu kommt, dass es der Schwimmweltverband (Fina) mit der Dopingbekämpfung in der Vergangenheit oft recht lax hielt. Der Fall Kylie Palmer wurde erst auf Betreiben der Welt-Anti-Doping-Agentur (Nada) neu aufgerollt.
Bevor es bei den Beckenschwimmern am Sonntag losgeht, vergeben die Freiwasserspezialisten am Samstag über 25 Kilometer ihre letzten Medaillen. Mit dabei: die Mainzerin Angela Maurer, die neben all den Fällen aus dem Pool auch den ihrer ukrainischen Freiwasserkonkurrentin Olga Berensnyeva kennt, der nachträglich Epo-Doping bei den Olympischen Spielen in London 2012 nachgewiesen wurde.
„Das muss schon ziemlich professionell gelaufen sein. Denn mit den damaligen Methoden konnte man sie ja nicht überführen“, erklärt Maurer und erinnert noch einmal an den Fall Palmer. Sie sagt: „Wenn man sieht, dass die Fina das erst gar nicht richtig verfolgt hat, denkt man schon: Was hat das ganze System eigentlich für einen Sinn?“
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