SCHRÖDER HAT AUS DEM SCHEITERN DER ÖSTERREICH-SANKTIONEN GELERNT: Ein Besuch im Inland
Ein Staatsbesuch als „unfreundlicher Akt“? Der deutsche Bundeskanzler als „Kolonialherr“ in Wien – wenn auch weniger herzlich empfangen als 1938? Glaubt man den österreichischen Politikern und Journalisten, dann ist die Bilanz des Schröder’schen Kurzbesuchs vom Wochenende eindeutig. „Von Normalität im deutsch-österreichischen Verhältnis kann keine Rede sein“, fasste die zweitgrößte Zeitung des Nachbarlands zusammen. Weit gefehlt. Nichts drückt die neue europäische Normalität besser aus als das Besuchsprogramm, das der Bundeskanzler an der Donau absolvierte.
Die außenpolitische Doktrin der Nichteinmischung hat im Verhältnis zwischen den europäischen Regierungen ausgedient. Die Beziehungen zwischen den EU-Staaten sind mittlerweile nichts anderes als europäische Innenpolitik. Schließlich würde ja innerhalb Deutschlands auch niemand erwarten, dass Schröder bei einer Stippvisite beispielsweise in Baden-Württemberg den CDU-Ministerpräsidenten Erwin Teufel herzlicher in den Arm schlösse als die SPD-Landesvorsitzende Ute Vogt. Die Union, die sich über Schröders Umgang mit Österreich so erregte, hält es übrigens nicht anders: Noch nie haben sich deutsche Politiker so massiv in den Wahlkampf eines anderen Staates eingemischt, wie es Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble dieses Frühjahr in Italien taten. Das zeigt: Spätestens seit der Einführung der gemeinsamen Währung am 1. Januar 1999 sind die Euro-Länder kein Ausland mehr. Weil der Mensch aber nur an das glaubt, was er in seinen Händen hält, dämmert die Erkenntnis erst jetzt – wenige Monate vor der Einführung des gemeinsamen Bargelds.
Mit seinem Besuchsprogramm setzt Schröder nicht den Irrweg der Sanktionspolitik fort, sondern er zieht daraus die richtige Lehre. Einen Boykott kann man über ein fremdes Land wie Serbien oder den Irak verhängen. Innerhalb einer Europäischen Union, die sich allmählich vom Staatenbund zum Bundesstaat entwickelt, ist das nicht mehr möglich. Käme eine rechtspopulistische Partei in die Regierung eines deutschen Bundeslandes, könnte Schröder zwar die Vertreter dieser Partei, nicht aber das ganze Land ignorieren. So hat er es jetzt auch in Österreich gehalten. RALPH BOLLMANN
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