SCHILY WILL STASI-AKTEN VON PROMINENTEN VERSIEGELN: Wer Akten schließt, schließt die Behörde
Innenminister Otto Schily demonstriert Macht: Sollte die Bundesbeauftragte für Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, nicht alle Akten, die Prominente betreffen, auf der Stelle versiegeln, dann setzt es eine Dienstanweisung. Der Herr Minister vergreift sich nicht nur im Ton, wenn wenn er meint, Treffen mit Birthler seien „nicht immer erfreulich“ verlaufen. Der Vorgang ist auch eine Anmaßung. Schilys Ressort übt zwar die Dienstaufsicht über die Aktenbehörde aus – nicht aber die Rechtsaufsicht, die für eine solche Anweisung nötig wäre. Die Rechtsaufsicht liegt bei der Bundesregierung, Schily müsste schon seinen Chef, Kanzler Schröder, auffordern.
Otto Schily hat es eilig. Eine schriftliche Urteilsbegründung des Berliner Verwaltungsgerichtes liegt zwar noch gar nicht vor, doch das hindert den Innenminister nicht, das Kohl-Urteil schon mal auf alle Promis auszudehnen. Die Begründung: Sonst würden ja all jene benachteiligt, die zwar Personen der Zeitgeschichte sind, aber anders als Kohl nicht geklagt haben. Ein vordergründiges Argument. Schließlich fordert Schily die Schließung der Promi-Akten schon seit langem.
Zur Erinnerung: Als das Stasi-Unterlagen-Gesetz 1991 verabschiedet wurde, wollte die große Mehrheit im Bundestag, dass die papierne Hinterlassenschaft der Stasi genutzt wird, um die deutsch-deutsche Geschichte aufzuarbeiten. Man wollte verhindern, dass die Vergangenheit erneut verdrängt wird wie nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen. Ganz bewusst wurden deshalb die Persönlichkeitsrechte für „Personen der Zeitgeschichte“ begrenzt – und nichts anderes sind Amtsträger und Politiker. Ihnen wurde aber eine – wenn auch eingeschränkte – Privatsphäre zustanden. Veröffentlicht wurden Unterlagen seither nur, soweit sie sich auf die Amtstätigkeit dieser Würdenträger beziehen. Die Bundesbeauftragte Marianne Birthler kam Schilys Bedenken sogar ein ganzes Stück entgegen, indem sie im März eine neue Richtlinie erließ, die noch rigider dafür sorgt, dass die Praxis der Aktenbehörde die Persönlichkeitsrechte der Stasi-Opfer berücksichtigt.
Das Berliner Verwaltungsgericht wollte die Entstehungeschichte des Stasi-Unterlagen-Gesetzes nicht würdigen. Zu hoffen bleibt, dass dies in einer der kommenden Instanzen geschieht, und das jetzige Urteil korrigiert wird. Andernfalls dürfte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse Recht behalten. Er fürchtet, dass das Urteil der Anfang vom Ende der Stasi-Aufarbeitung bedeutet. Wer die Akten verschließt, der schließt auch die zuständige Behörde. WOLFGANG GAST
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