SCHILY NIMMT RÜCKSICHT AUF DIE ZUWANDERUNGSSKEPTIKER: Angst vor der Globalisierung
Schon lange nicht mehr war der Protest auf der Straße derart im Einklang mit der Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung. Als am vorletzten Wochenende die Schlachten in Genua tobten, mögen viele Zuschauer vor den Fernsehern die Gewalt missbilligt haben – in der Sache aber waren sie völlig einverstanden: Von Frankreich bis Griechenland ergeben die Umfragen in ganz Europa solide Mehrheiten gegen „die“ Globalisierung.
Für die Demonstranten von Genua bedeutet das Nein zur Globalisierung ganz ausdrücklich kein Nein zur Zuwanderung. Bei den Sympathisanten auf dem Sofa ist das anders. Für sie ist die Angst vor der Globalisierung nur die eine Seite der Medaille, auf deren Rückseite die Angst vor der Zuwanderung eingeprägt ist. In beiden Fällen geht es um die Furcht vor dem Verlust von Arbeitsplatz und sozialem Status, die mit der immer größeren Durchlässigkeit nationaler Grenzen einhergeht. Einer Furcht, die gerade bei gering qualifizierten Arbeitnehmern durchaus reale Hintergründe hat – und die daher auch die Gewerkschaften zusehends ins Lager der Globalisierungskritiker und Zuwanderungsskeptiker treibt.
Die rot-grüne Koalition ist daher gut beraten, wenn sie ihren Innenminister Otto Schily (SPD) heute mit einem eher zurückhaltenden Entwurf für das geplante Zuwanderungsgesetz an die Mikrofone schickt. Die kleinen Parteien FDP und Grüne werden von einer Klientel gewählt, der solche Ängste eher fremd sind. Sie können sich daher ein positives Bekenntnis zu einer forcierten Zuwanderung leisten – bei den Grünen allerdings eingeschränkt durch die Koalitionsdisziplin. Die beiden Volksparteien CDU und SPD können das nicht. An den Gedanken, dass wir in einem Einwanderungsland leben, müssen sie ihre Wählerschaft erst behutsam heranführen – nicht nur wegen der Konkurrenz zwischen CDU und SPD untereinander, sondern auch in Hinblick auf rechtsradikale Parteien.
Kanzler Gerhard Schröder glaubte bereits im vorigen Jahr, das richtige Thema für diese Überzeugungsarbeit gefunden zu haben – mit der „Green Card“ für Software-Spezialisten. Doch seitdem die Branche lahmt, hat das Argument an Strahlkraft verloren. Eine Politik der verstärkten Einwanderung, die mittlerweile die politischen und wirtschaftlichen Eliten jeder Couleur für notwendig erachten, hat die Basis noch längst nicht überzeugt. Auch wenn sie dafür nichts können: Die Globalisierungskritiker müssen aufpassen, dass sie diesem Wunsch nach Abschottung nicht ungewollt Vorschub leisten. RALPH BOLLMANN
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