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S O C K E N S C H U S S Unterm Seziermesser

■ Kritische Anmerkungen zu einem Colloquium in Bremen

Ina, 21, Studentin der Informatik, hatte ihr Leben vor einigen Jahren einer Wissenschaftlerin erzählt und sie wäre heute sicher erstaunt, könnte sie hören, was die Wissenschaft mit ihrer Biografie gemacht hat: Die ForscherInnen, die am Wochenende während des Soziologen -Colloquiums „Lebenserfahrung - Zur Organisation biographischen Wissens“ an der Bremer Uni sich dieser Studentin bemächtigten, haben Inas Lebensgeschichte vom Tonband abgeschrieben, in kleinste Teile zerlegt, sie seziert und analysiert. Danach untersuchten sie das „Material“ auf Brüche und Abweichungen. Was Brüche und Abweichungen von der Norm sind, legen die ForscherInnen fest, ihr Maßstab ist die „ideale Normalbiographie“. Die Komplexität eines Lebens wird reduziert auf „Brüche“. Die BiographietechnikerInnen nehmen sich mit dem Seziermesser Inas Leben an.

Ich habe selbst im Rahmen eines Forschungsprojekts mit der „biographischen Methode“ gearbeitet und Probleme der „Herrschaft“ in der Beziehung zwischen InterviewerIn und ErzählerIn kennengelernt. Aber die Art und Weise, wie sich am Wochenende WissenschaftlerInnen dieser Herrschaft bedienten, um Details und Fakten einem Publikum näherzubringen, erinnert an die Forschungsmethoden der Gentechnologie: Hier wie dort wird menschliches Leben als „Objekt“ unters Mikroskop gerückt, hier wie dort kann manipulativer Einfluß ausgeübt werden.

DDie Frage ist, nach welchen Kriterien Begriffe wie „normal“ und „abweichend“ festgelegt werden. Diese Fragen wurden am Wochenende nicht gestellt. Sie müssen aber gestellt werden, damit sich die sogenannten Humanwissenschaften von den Naturwissenschaften abgrenzen können, und inhumanen Forschungsansätzen Einhalt geboten werken kann.

Christine Biesinger

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