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S-BAHN-CHAOS"Eine Großstadt, einfach gekappt"

Auf die Einstellung von vier S-Bahn-Linien am Stadtrand reagieren die Anwohner dort mit Empörung.

Darf's ein bisschen mehr sein? Bei den Wartenzeiten auf die S-Bahn derzeit schon. Bild: dapd, Clemens Bilan

Allmorgendlich fährt Andreas Geisel, Lichtenberger Verkehrsstadtrat, mit der Tram zur Arbeit. Doch so "rappelvoll" wie am Montag habe er es selten erlebt, berichtet der SPD-Mann. Seit Sonntag hat die S-Bahn ihre Linie zwischen Springfuhl und Wartenberg eingestellt. "Als Alternative können die Hohenschönhausener nur noch die Tram oder den halbstündigen Regio nehmen", sagt Geisel. "Unhaltbar." Lethargisch hätten sich die meisten in die Trams "gestopft".

Auch die Stadtrand-Linie von Westkreuz nach Spandau stellte die S-Bahn aufgrund fehlender Wagen ein. Gleiches gilt zwischen Strausberg und Strausberg-Nord sowie zwischen Schönholz und Hennigsdorf. Stattdessen sollen Busse, Trams oder Regionalbahnen genutzt werden.

Mit Galgenhumor würden die Spandauer inzwischen auf diese weitere Einschränkung reagieren, sagt Bezirksbürgermeister Konrad Birkholz (CDU). Man sei von der S-Bahn ja nichts anderes mehr gewöhnt. "Vernichtend" seien diese Reaktionen für die Bahn, so Birkholz. Die Abkoppelung Spandaus, Berlins größtem Industriestandort, sei "äußerst bedenklich". "Es muss doch möglich sein, wenigstens einen Notbetrieb aufrechtzuerhalten." Auch die U-Bahn taugt nur begrenzt als Alternative. Seit Monaten wird der Bahnhof Ruhleben wegen Bauarbeiten nur mit Ersatzbussen angefahren. Ab Sonntag gibt es zudem auf der U7 zwischen Rathaus Spandau und Richard-Wagner-Platz Pendelverkehr - auch hier wird gebaut.

In Hennigsdorf ist man ebenfalls sauer. "Die Leute sind empört, und das zu recht", sagt Bürgermeister Andreas Schulz (SPD). 3.000 Pendler habe Hennigsdorf täglich, jeder zweite Arbeitsplatz in der Industrie werde von Berlinern ausgefüllt. Die müssten jetzt aufs Auto oder den Bus umsteigen, mit deutlich längeren Fahrtzeiten, so Schulz. "Die S-Bahn ist der Lebensnerv dieser Stadt, jahrelang haben wir nach der Wende für den Anschluss gekämpft." Selbst die Stadtspitze werde von der S-Bahn nicht informiert, wie lange die Kappung anhalten soll. Es sei skandalös, wie ein öffentliches Unternehmen derartige Probleme anhäufen könne, schimpft Schulz. "Als Bürgermeister wäre ich für sowas längst davon gejagt worden."

In Strausberg setzt man inzwischen auf Eigenversorgung: mit Stadtbuslinie und Strausberger Eisenbahn. "Die fahren in diesem Winter bisher immer pünktlich", so Bürgermeisterin Elke Stadeler (parteilos). Dennoch bräuchten 6.000 Pendler nun länger. "Die meisten sind froh, wenn sie überhaupt ankommen." Die S-Bahn müsse endlich ihrem Beförderungsauftrag nachkommen, gerade nach der jüngsten Fahrpreiserhöhung. "Nicht auszudenken, wenn der Winter nochmal richtig kommt und auch die Busse nicht mehr fahren", so Stadeler.

Auch Lichtenbergs Stadtrat Andreas Geisel schüttelt den Kopf. "Die S-Bahn wusste lange von den Problemen und hat jetzt auch ihre letzte Chance verspielt." Und mit Hohenschönhausen werde kein Dorf abgehängt, betont Geisel. Sondern ein Gebiet mit 100.000 potenziellen Fahrgästen. "Eine Großstadt, einfach gekappt."

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6 Kommentare

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  • D
    duderine

    @luetzgendorff:naja das mit dem "zu Fuss gehen" kann man bei Städten in der Größe von Freiburg machen, in Berlin ist das jedoch nicht realisierbar. Ich muss zum Beispiel den halben S-Bahn-Ring um die Stadt fahren um zu meiner Arbeit zu gelangen (da habe ich mit der Ringbahn ja noch richtig Glück). Jedoch kann ich es mir nicht leisten einfach dorthin zu ziehen, weil ich 10km mehr zur Arbeit brauche, da die Mieten außerhalb meiner finanziellen Möglichkeiten liegen.Darüber hinaus ist bei Temperaturen von ca. -10 Grad auch Fahrrad fahren nicht möglich (in Freiburg ist es ja bekanntlich immer wärmer:)) Einen gut funktionierenden ÖPNV sollte es in jeder Stadt geben, und dass die Bahn, welche auf kommnunaler- und Bundesseite einen immensen Einfluss besitzt, dieser Aufgabe nicht nachkommen kann, sollte man ernsthaft über Konsequenzen nachkommen. Dass die Preise im Regionalverkehr nahezu jedes Jahr kontinuierlich erhöht werden und die Leistungen dafür (schaut man sich zum Beispiel die Verspätungen in anderen Bundesländern im RV an) schlichtweg nicht gebracht werden, hinterlässt schlichtweg Spuren am Ansehen des Unternehmens.An einen Börsengang glaube ich perönlich kaum noch - und selbst wenn, wer kauft denn dann bitte schön Bahn-Aktien?

  • S
    Schneider

    "Geisel (- SPD). Sondern ein Gebiet mit 100.000 potenziellen Fahrgästen. "Eine Großstadt, einfach gekappt.""

     

    Nicht nur von der S-Bahn gekappt,

    sondern seit Jahren auch wirtschaftlich.

    Dafür trägt Geisel Mitverantwortung.

    Wann war er das letzte Mal in Hohenschönhausen

    und kennt hautnah die Probleme der Bürger?

  • J
    jummai

    @luetzgendorff

     

    S und U-Bahn fahren sind ökologisch sinnvolle Alternativen zum Auto (von denen es zuviele gibt und deren Abgase Radfahrer und Fussgänger das Leben schwer machen).

     

    Und man kann von einer Friseurin mit einem Stundenlohn von ca 3,50 Euro, die in der Friedrichstraße oder an einem vergleichbaren Ort arbeitet und in Hohenschönhausen lebt, wohl kaum erwarten sich in der Nähe vom Arbeitsplatz eine Wohnung zu nehmen!!!

  • GG
    Grüner Gast

    @luetzgendorff: Ich kann Ihnen nur voll zustimmen! Ihr Kommentar passt zu einer wunderbaren Lesestrecke im aktuellen Greenpeace-Magazin, die sich mit Entschleunigung befasst.

    Statt über die S-Bahn oder die Deutsche Bahn zu schimpfen, sollten wir beiden Unternehmen dankbar sein, denn sie zeigen, dass es mit dem Tempo so nicht weiter gehen kann (und dass es eben auch ohne geht). Deutschland bricht nicht zusammen, wenn in den Städten flächendeckend Tempo 30 eingeführt wird, wenn auf Autobahnen Tempo 80 Vorschrift wird und wenn die Züge nur noch mit Tempo 100 fahren. Und ja, ich bin für drastische Sprit- und Bahnpreiserhöhungen, auch im Nahverkehr, und für das Verbot innerdeutscher Flüge. Die Menschen werden es erst lernen, wenn keine S-Bahn mehr fährt, der Liter Diesel 5 Euro und eine Monatskarte für den Bus 300 Euro kostet.

    Zu Fuss gehen und Rad fahren ist die Zukunft!

  • L
    luetzgendorff

    Ich weiß garnicht, warum hier soviel geschimpft wird auf die S-Bahn. Ich freue mich schon darauf, wenn Renate endlich Wowi ablöst und in Berlin flächendeckend Tempo 30 einführt, auch für BVB-Busse natürlich. Und da die S-Bahn-Krise bis dahin nicht überwunden sein wird und vermutlich noch viel weniger Züge fahren, kommt es endlich zur überfälligen Entschleunigung.

    Leute, geht zu Fuß (mein Großvater hing jeden Morgen 7 km zur Arbeit und abends wieder zurück) oder gönnt euch ein Fahrrad, und das Leben wird wieder lebenswert. Wo bleibt das positive, grüne Denken? Nur langsam und genügsam können wir unseren Planeten retten, und gesünder ist es allemal. In Berlin kann man doch alles zu Fuß erledigen, wer braucht S- und U-Bahnen? Und wer 10km oder mehr zur Arbeit benötigt, sollte mal ans Umziehen denken.

    Grüne Grüße aus der Ökohauptstadt Freiburg!

  • K
    Krümel

    Unfassbar.

    Vor allem in Verbindung mit der Fahrpreiserhöhung.

     

    Nicht auszudenken, wenn wütende Fahrgäste noch auf die Idee kommen, die Ticketautomaten mit Butterkeksen oder Ähnlichem zu füttern, so dass sich keiner mehr einen Fahrschein kaufen kann....