Russlands Journalistenmorde: Der Feind ermittelt
Ein neues Komitee soll die Journalistenmorde in Russland untersuchen. Der Leiter der Untersuchungen: Alexander Bastrykin - ein Freund von Präsident Putin.
Im September wird ein neues Ermittlungskomitee in Russland die Arbeit aufnehmen. Unter anderem wird es den politisch heiklen Mord an der regierungskritischen Journalistin Anna Politkowskaja untersuchen, durch den auch Präsident Wladimir Putin international in die Kritik geraten war.
Auf den ersten Blick könnte man diese Nachricht als ein gutes Zeichen für die Pressefreiheit in Russland werten. Der zweite Blick ernüchtert: Die Organisation Reporter ohne Grenzen schreibt auf ihrer Internetseite, es sei keineswegs beruhigend, dass es dieses neue Untersuchungskomitee geben werde; dessen Unabhängigkeit sei fraglich, denn die Leitung übernimmt der 54-jährige Jurist Alexander Bastrykin - ein Studienfreund Putins.
Die Personalie ist Teil einer größeren Reform des russischen Justizwesens; der Generalstaatsanwalt Juri Tschaika wird entmachtet, Bastrykins neue Behörde agiert davon unabhängig und wird mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet. Etwa die Einleitung und Einstellung von Strafverfahren wird Sache Bastrykins, den der Präsident direkt ernannt hat.
Jakob Preuss, bei Reporter ohne Grenzen für die Region zuständig, sagt, Bastrykin sei "als Person nicht zu verurteilen. Er hat einen guten Ruf als Jurist und keine eigenen geschäftlichen Interessen." Das Problem an der Personalie sei "seine deutliche Nähe zum Präsidenten". Das russische Center for journalism in extreme situations, mit dem Reporter ohne Grenzen zusammenarbeitet, und die russische Zeitung Kommersant äußern die Sorge, der Präsident könne durch die Aufwertung Bastrykins nun wegweisend bei den Entscheidungen sein, gegen wen ermittelt werde und wen nicht, auch im Fall Politkowskaja.
Der russische Botschafter in Berlin wollte gestern keine offizielle Stellungnahme abgeben. Politische Beobachter aber, etwa der Politologe Alexei Muchin vom Zentrum für politische Information, glauben, die Einsetzung des Komitees hänge damit zusammen, dass Putin so die politischen Prozesse auch nach seiner Amtszeit kontrollieren könne - auch wenn Bastrykin erklärt hat, es gebe für ihn "keine unantastbaren" Personen.
Die Angehörigen von Anna Politkowskaja befürchten, dass die Auftraggeber des Mordes an der Journalistin in Ruhe gelassen und nur die Ausführenden bestraft würden. Denn die Möglichkeiten, den Mord aufzuklären, hatte auch die Generalstaatsanwaltschaft in der bisherigen Struktur. Zwar hat das neue Untersuchungskomitee wegen der klareren Aufgabenverteilung auch Befürworter in Russland. Die Sorge seiner Kritiker jedoch ist: Es könnte nach wie vor am aufrichtigen Willen fehlen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands