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■ Russland hat gewählt. Überraschend wurde der Wahlblock „Einheit“ des Katastrophenschutzministersund Putin-Freundes Sergej Schoigu knapp nach den Kommunisten zweitstärkste Kraft in der Duma. Die Parlamentswahl gilt als Stimmungsbarometer für die Präsidentschaftwahlen im Sommer. Ihre Botschaft:Putin, übernehmen Sie!

„Wir sind in einem anderen Land aufgewacht“, meint Finanzmagnat Boris Beresowski erleichtert. „Ich hatte gehofft, in der nächsten Duma würde eine konstruktive Opposition sitzen. Nun haben wir ein Parlament, das konstruktiv ist und nicht oppositionell.“ Dem Oligarchen und umstrittenen Vermögensverwalter des Hauses Jelzin ist gelungen, was vor zwei Monaten niemand für möglich gehalten hätte.

Der Wahlverein „Edinstwo“ („Einheit“), eine Kopfgeburt des umtriebigen Demiurgen Beresowski und des einstigen Vorzeigereformers Anatoli Tschubais, landete bei den Duma-Wahlen einige Zehntelprozentpunkte hinter der nach wie vor stärksten Fraktion – der Kommmunistischen Partei Russlands (KPRF).

Der virtuelle Wahlverein diente zunächst nur dem Ziel, die Erbfolgefrage Präsident Jelzins im Sinne der Kremlkamerilla zu organisieren und den scheidenden Kremlchef nebst Entourage vor drohender Strafverfolgung zu bewahren.

Der eigentliche Gewinner der Wahlen heißt also Premierminister Wladimir Putin. Er hatte schon im Vorfeld der Wahlen „rein als Privatmann“ seine Sympathie für den Block „Einheit“ kundgetan und sich mit dessen Frontfigur, dem Minister für Katastrophenschutz, Sergej Schoigu, in der Öffentlichkeit präsentiert. Der Rückhalt des designierten Thronfolgers Putin verlieh der „Einheit“ ausreichend Schubkraft.

Putin verdiente sich seine Sporen unterdessen als gnadenloser Sachwalter russischer Interessen im Kaukasus. Seit seiner Amtsübernahme im August konzentrierte sich der ehemalige Geheimdienstler ausschließlich auf die „Bekämpfung der Terroristen“ in Tschetschenien, wie es in der offiziellen Moskauer Sprachregelung lautet. Das rücksichtslose Vorgehen in der sezessionistischen Kaukasusrepublik fand in der Bevölkerung von Anfang an Zustimmung. Innerhalb weniger Wochen übertrumpfte der kaukasische Kriegsmeister bereits den bisherigen Favoriten in der Wählergunst, den ehemaligen Premier Jewgeni Primakow.

Putins Feldzug hat den Kaukasus nicht befreit, dafür aber die Russen von ihrem Komplex, seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion Verlierer zu sein. Überdies überzeugte die starke Hand, mit der der schmallippige und wortkarge Jurist der Öffentlichkeit den Krieg verkaufte. Putin gelang, was seit dem Niedergang des Kommunismus kein Politiker bewerkstelligen konnte: Er schuf einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dem sich kaum eine kritische Stimme zu widersetzen wagte. Wer es dennoch tat, wie der Jabloko-Vorsitzende Grigori Jawlinsky, wurde öffentlich gemaßregelt und von den Wählern bestraft.

Putin, der Gewinner, hat mit den Duma-Wahlen bereits die „erste Runde der Präsidentschaftswahlen überstanden“. So formuliert es sein Vorgänger auf dem Premiersposten, Sergej Stepaschin. Wird Putin an der Kriegsführung in Tschetschenien etwas ändern? Setzt sich die Einsicht doch noch durch, das Kaukasusproblem lasse sich mit der Ausrottung eines Volkes nicht endgültig erledigen? Noch ist der Krieg der einzige Trumpf des Premiers, den er mit Sicherheit nicht aus der Hand legt. Der solide Rückhalt in der Bevölkerung könnte aber dazu beitragen, dass Moskau die Strategie korrigiert und vom Vernichtungsfeldzug abrückt. Das setzt indes auch das Einverständnis der Armee voraus, die sich bisher von niemandem hineinreden ließ und allein auf die totale Kapitulation des Gegners setzt.

Die Aussichten sind daher eher trübe. Zumal die Ära Clinton dem Ende entgegengeht und die Europäer ohnehin nur ein Minimum an obligater Betroffenheit zeigten. Überdies dürfte die Rückkehr der liberalen Kräfte – und die mit ihnen verbundene Hoffnung im Westen – eher dazu führen, Zurückhaltung zu üben.

Allerdings könnte die neue Duma, in der die bereits totgesagten Liberalen der „Union der rechten Kräfte“ (UdR) mit einigen prominenten Reformern vertreten sein werden, im Zuge der Präsidentschaftswahlkampagne neue innenpolitische Akzente setzen. Nicht zuletzt profitierte die UdR vom Image Putins, der seinerseits andeutete, er wolle wirtschaftspolitisch auf ihre programmatischen Vorstellungen zurückgreifen.

Vor allzu viel Optimismus sei jedoch gewarnt. Fest steht: Premier Putin hat nicht nur die „erste Runde des Präsidentschaftswahlkampfs“ gewonnen, er hat sich damit auch etwas von Boris Jelzin abgesetzt. Der Patriarch kann sich seiner nicht mehr, ohne Schaden zu nehmen, entledigen.

Vielleicht erkennt Jelzin die Gunst der Stunde und tritt vorzeitig seinen verdienten Ruhestand an ...?

Klaus-Helge Donath, Moskau

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