Russisches Epos "Der Mongole": Dschingis in Love
Aus welchem Stoff ist ein Herrscher gemacht? Sergej Bodrovs Film "Der Mongole" entdeckt zwischen verpatzter Kindheit und hoher Staatsräson auch lautere Motive.
Geißel der Menschheit? Dampfwalze Zentralasiens? Blutrünstiger Schänder von Witwen und Waisen? Nein, der junge Mann mit den langen, geflochtenen Zöpfen und den melancholisch-ernsten Augen wirkt so gar nicht wie einer, von dem der Volksmund später sagen wird, dass er sein weltumspannendes Reich mit besonders grausamer Hand an sich gerissen habe. Über weite Strecken des Films wirkt dieser Temudgin (Tadanobu Asano) noch nicht einmal, als würde er den nächsten Tag noch erleben, so zahlreich sind seine Feinde und deren Intrigen. Doch dank schierer Zähigkeit und Willenskraft übersteht er alle Fährnisse, die ihm das Drehbuch in den Weg legt. Und am Ende wird er genügend Anhänger neben und erschlagene Gegner hinter sich haben, um endlich den Titel zu erhalten, unter dem ihn jeder kennt: Dschingis Khan.
Mit auffälliger Regelmäßigkeit stellt das gegenwärtige Kino die Frage: Aus welchem Stoff ist ein Herrscher gemacht? Was treibt so einen an, weiter zu gehen als alle anderen? Ein Muster schält sich dabei immer deutlicher heraus: Westliche Regisseure geben einem verpatzten Familienroman die Schuld, Regisseure aus dem Osten bemühen hingegen die höhere Staatsräson.
So machte Oliver Stone die ehrgeizige Mutter und den Ödipuskomplex für das Weltmachtstreben Alexanders verantwortlich, während Zhang Yimou ("Hero") und Chen Kaige ("Der Kaiser und sein Attentäter") ihre Potentaten nach der Devise vorgehen lassen: Besser ein einig Reich unter meiner Herrschaft, als lauter miteinander verfeindete Kleinvölker, die sich in endlosen Zänkereien aufreiben. Frei nach Thomas Hobbes: Nur der starke Staat kann verhindern, dass wir uns gegenseitig die Köpfe einschlagen.
Dieses Muster bedient nun auch die deutsch-russisch-kasachische Koproduktion "Der Mongole" von Sergei Bodrov, dessen Titelfigur der Devise folgt: Ich werde dieses zerstrittene Volk einigen, und wenn ich die Hälfte dafür umbringen muss.
Bodrov darf dabei als Spezialist für patriotische Herrscherepen gelten: 2004 erzählte er in "Nomad" die Geschichte der Einigung der Stämme Kasachstans im 18. Jahrhundert, und auch hier galt die Regel, dass es den Auftritt eines starken Individuums braucht, bevor die Leute die richtigen nationalen Wir-Gefühle entwickeln. In Auftrag gegeben und finanziert von der kasachischen Regierung, war "Nomad" an den Kinokassen jedoch ein phänomenaler Kassenflop. Vermutlich deshalb schlägt Bodrov in "Der Mongole", bei vergleichbarem Sujet, eine ganz andere Tonart an.
Nicht die aufwändigen Inszenierungen der Schlachten, die trotz tausender berittener Statisten die von Hollywood gelegte Messlatte ohnehin nicht erreichen, bleiben nach den hundertzwanzig Filmminuten in Erinnerung, sondern die ruhigen Töne, die grandiosen Landschaftsaufnahmen und Zwischenmenschliches.
Bodrov interessiert sich nicht für die späteren Eroberungen, sondern dafür, wie aus dem neunjährigen Kind der Reichsgründer wird. Vor allem das Verhältnis des jungen Temudgin zu seiner späteren Frau Borte (Khulan Chuluun) steht im Mittelpunkt: Dieser künftige Khan ist in erster Linie ein Lover, not a Fighter. Auch mit Jamukha (Sun Hong Lei) würde er sich vermutlich lieber muntere Abende mit vergorener Pferdemilch machen, aber verletzter Stolz und ein unglücklicher Unfall haben aus seinem Blutsbruder aus Kindertagen einen erbitterten Gegner gemacht.
So tritt "Der Mongole" an, das von einer fantasievoll kostümierten Eurovisionstruppe gleichen Namens besungene Image des Dschingis Khan vom saufenden und raufenden Steppenwolf ("Ha! Hu! Ha!") durch das Bild eines nachdenklichen und friedliebenden Mongolenherrschers zu ersetzen - dem man auch gerne dabei zusehen würde, wie er mit Frau und Kindern (die im Übrigen allesamt nicht von ihm stammen) als Anführer einer bunten Hippietruppe den lieben langen Tag in seiner Jurte verbringt - wenn man ihn denn gelassen hätte.
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