Russischer Sport im Abseits: Zickerei in der Loipe
Russlands Langläufer sind vom Weltcup ausgeschlossen. Bei einer Rennserie in Russland wird die große Langlaufwelt ein wenig nachgespielt.
J ohannes Høsflot Klæbo hat es einmal mehr allen gezeigt. Der Langläufer aus Norwegen hat bereits zum dritten Mal die Tour de Ski gewonnen, jenes Mehretappenrennen um den Jahreswechsel, dessen Gewinner sich als der beste Allrounder der Szene bezeichnen kann. Fünf der sechs Etappen hat Klæbo gewonnen. Ob klassisch oder in der Skating-Technik, der Norweger hat die Konkurrenz beherrscht.
Nur einmal war er nicht ganz vorne, bei der Schlussetappe hinauf auf die Alpe Cermis über dem Val die Fiemme ist er nur Fünfter geworden. Die Langlaufwelt verbeugt sich vor dem Dominator. Nur aus Russland kommen missgünstige Kommentare.
Dmitri Swischtschew, der Vorsitzende des Staatsduma-Ausschusses für Körperkultur und Sport, meinte: „Klæbo hat in Abwesenheit unserer Stars gewonnen und weiß, dass er einer der Stärksten ist, aber nicht der Stärkste. Wie ist es wohl, den Titel zu bekommen, wenn man das weiß? Du gewinnst, aber du spürst, dass es Leute gibt, die stärker sind als du.“
Damit spielte er vor allem auf den dreifachen Olympiasieger von Peking 2022, Alexander Bolschunow, an. Der ist, wie alle russischen Athleten, wegen des Angriffskriegs ihres Heimatlands gegen die Ukraine von Wettbewerben des internationalen Skiverbands ausgeschlossen.
Und während man sich im Weltcup längst an die Abwesenheit der russischen Konkurrenten gewöhnt hat, werden die Scharmützel, die sich Klæbo und Bolschunow in den vergangenen Jahren auf und abseits der Loipen geliefert haben, in Russland vermisst. Auf irre Wettkämpfe waren Anspielungen Klæbos auf das russische Staatsdopingsystem gefolgt, woraufhin von russischer Seite verbal zurückgeschossen wurde. Vorbei. Klæbo läuft im Weltcup und Bloschunow im Russland-Cup.
Russland-Cup statt Weltcup
Bei der Wettkampfserie in Russland wird der Weltcup nachgespielt. So darf der Führende in der Gesamtwertung ein gelbes Trikot tragen. Das präsentiert Alexander Bolschunow dieser Tage stolz auf seinen Social-Media-Kanälen und fast sieht das so aus, als sei er immer noch der Beste der Welt. Bolschunow ist einer der sportlichen Hauptdarsteller des russischen Propagandaapparats und weiß, was von ihm verlangt wird. Ein Einsatz an der Heimatfront.
Noch während der Spiele von Peking Anfang Februar 2022 war der Sportsoldat wegen seiner großen Erfolge befördert worden. Er ist nun Hauptmann der Nationalgarde der Russischen Föderation. Nach Beginn der russischen Angriffe auf die Ukraine trat er bei den Feierlichkeiten zum Jahrestag der Annexion der Halbinsel Krim mit Russlands Staatspräsidenten Waldimir Putin im Moskauer Luschniki-Stadion auf. Nun tourt er auf seinen Langlaufbrettern durch die winterlichen russischen Provinzen.
Doch so richtig Begeisterung mag darüber nicht aufkommen. Wenn da nicht der Kleinkrieg wäre, den Bolschunow gegen einen seiner Konkurrenten austrägt, es würde sich wohl kaum jemand für den Russland-Cup interessieren. Bolschunow zofft sich schon die ganze Saison über mit Sergej Ustjugow, einem anderen mehrfachen Olympiasieger und Tour-de-Ski-Gewinner aus Russland. Der hatte sich zu Beginn der Saison aus der Nationalmannschaft verabschiedet und trainiert seitdem eigenverantwortlich.
Der Sieg des alten Sacks
Und doch hat er, als er in die Rennserie eingestiegen ist, gleich den Sprint gewonnen. Er als alter Sack habe die Nationalmannschaftsfahrer wie alte Säcke aussehen lassen. Mit solcherart Neckerei begann, was sich längst zu einer großen Zickerei ausgewachsen hat. Mal will der eine dem anderen die Hand nicht reichen, weil er der Meinung ist, der habe ihn geschnitten. Dann verhaken sich wirklich die Skier der Konkurrenten. Es kommt zum Sturz. Ein wenig Blut fließt und sogar von einem Schlag ins Gesicht wird berichtet.
Geht doch. Mit einem Mal wird doch über Langlaufen gesprochen in Russland. Die anderen Läufer bitten die beiden Streithähne um Mäßigung und hoffen vielleicht doch, dass sich die Streithähne noch möglichst oft bekämpfen in dieser Saison. Am Donnerstag steht wieder ein Sprint im Russland-Cup an. Alexander Bolschunow, der fast noch kein Rennen ausgelassen hat in diesem Winter, wird in jedem Fall an den Start gehen. Ustjugows Start in Syktywkar, einer Provinzhauptstadt 1.000 Kilometer nordöstlich von Moskau, ist noch ungewiss. Er will nach Tagesform entscheiden, ob er antritt.
Bis April läuft die Rennserie noch. Mal sehen, ob der Streit von Bolschunow und Ustjugow so lange trägt. Die WM im nordischen Skisport ist dann längst gelaufen. Sie findet vom 21. Februar bis zum 5. März 2023 in Planica statt. Ohne Russland, aber ganz gewiss mit Johannes Høsflot Klæbo.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern