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Russischer „Atomkoffer“ kann angeblich keinen Krieg auslösen

Moskau (dpa) — Die Moskauer Putschisten vom vergangenen August waren nach Angaben des Chefkonstrukteurs des „Atomkoffers“ nicht in der Lage, mit diesem System einen atomaren Erstschlag auszulösen. Wie der Ingenieur in einem Interview sagte, das gestern in der 'Komsomolskaja Prawda‘ veröffentlicht wurde, ist die Apparatur angeblich nur für den Verteidigungsfall konstruiert. „Kein Janajew (der damalige Anführer der Verschwörer) kann den Koffer auf Angriff umstellen.“ Er bestätigte, daß die Putschisten den Koffer in ihren Besitz gebracht hatten.

Nach den Worten des Chefkonstrukteurs ist der „Atomkoffer“ ein Ergebnis der immer kürzer werdenden Vorwarnzeiten seit Ende der 70er Jahre. „Stellen Sie sich vor, der Präsident geht spazieren und bekommt plötzlich die Meldung von einem Überfall.“ Nur bei solch einem Überraschungsangriff würde der rund zehn Kilogramm schwere Koffer über Funk in Betriebsbereitschaft versetzt.

Mit der Entwicklung sei in der Breschnew-Ära begonnen worden, aber erst unter Kremlchef Juri Andropow habe er das System fertiggestellt. Bei dem schwarzen Attachékoffer handele es sich um ein gängiges westliches Markenmodell, das man in einem Kaufhauskatalog ausgewählt habe. In der Sowjetunion hätten der Präsident, der Verteidigungsminister und der Generalstabschef jeweils ein solches Exemplar, den sie unabhängig voneinander bedienen konnten. Derzeit verfügten allein der russische Präsident Boris Jelzin und der Chef der Streitkräfte der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) über ein solches Exemplar.

Der Konstrukteur unterstrich, daß die Bedienung denkbar einfach, die Benutzung durch Unbefugte aber ausgeschlossen sei.

Seinen Schritt in die Öffentlichkeit begründete der Ingenieur mit der schlechten wirtschaftlichen Lage seiner Kollegen. Bis Dezember habe er 570 Rubel verdient; erst vor ein paar Tagen sei sein Gehalt auf 1.700 Rubel angehoben worden. Derzeit wüßten die für den Koffer zuständigen Fachleute nicht, wem sie letztlich unterstehen und woher sie die weiteren Gelder für ihre Arbeit erhalten. Einige Ingenieure bekämen nicht mehr als 500 Rubel und lebten wie Bettler, so der Chefkonstrukteur. „Die Jungs haben angefangen auseinanderzurennen“, warnte er, „solche Profis werden überall gesucht.“

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