Rugby-WM: Der Hype ums Ei
Kaum ein Sportereignis hat sich so rasant entwickelt wie die Rugby-WM. Jetzt beginnt sechste Ausgabe in Frankreich mit dem Spiel der Gastgeber gegen Argentinien
PARIS taz Ka mate, ka mate, das ist Tod - ka ora ka ora, das ist Leben. Die berühmten Textzeilen des Haka, des Kriegstanzes der "All Blacks", der neuseeländischen Rugby-Nationalmannschaft, lassen den jeweiligen Gegner schon vor einer Partie wissen, dass es gleich um nichts anderes als um die Existenz gehen wird. "Les Bleus", die Blauen aus Frankreich, haben einen solchen Tanz nicht - dafür aber Sebastien Chabal. Der Mann sieht aus wie direkt dem Neandertal entsprungen und wird in seiner Heimat nur "hommes de grottes", Höhlenmensch, genannt. Bei YouTube kursieren mittlerweile dutzende Videos, die Chabal als Verursacher von Nasenbluten, Knochenbrüchen und Ärgerem zeigen. Popsongs feiern ihn als Symbol der "gallischen Seele", und im neuen Asterix-Film darf neben den Protagonisten auch er ein paar Römer verkloppen. Chabal ist ein Superstar. Im Stade de France von Paris wird heute die sechste Weltmeisterschaft im Rugby eröffnet. Sebastien Chabals beinahe globale Popularität zeigt, dass der noch vor zehn Jahren lediglich regional bedeutsame Sport dabei ist, ein internationales Massenphänomen zu werden.
Noch bis Mitte der Neunzigerjahre schien Rugby eine Privatangelegenheit von Briten, Iren, Südafrikanern, Südseeinsulanern und Franzosen zu sein. Deren Nationalspieler waren im Hauptberuf Angestellte von Banken, Stadtverwaltungen, Landwirte oder Handelsvertreter. Inzwischen streiten 90 Nationen um den WM-Titel. Und Spieler wie der Engländer Jonny Wilkinson, der die Mutternation 2003 in Australien zum ersten Titel führte, verdienen mittlerweile durch Werbeverträge Millionen. Verursacher dieses Hypes ist vor allem die stetig populärer werdende Weltmeisterschaft. Die Zuschauerzahlen des sogenannten RWC sind von ursprünglich 600.000 weltweit auf prognostizierte 4 Milliarden für dieses Jahr hochgeschnellt. Damit gilt der Rugby Worldcup hinter Fußball-Weltmeisterschaft und Olympischen Spielen mittlerweile als drittgrößte Sportveranstaltung der Welt. Längst hat man Formel 1 und Tour de France hinter sich gelassen.
Auch kommerziell gesehen gilt die Rugby Weltmeisterschaft mittlerweile als Goldgrube. Etwa 2,2 Millionen Tickets für insgesamt 48 Partien sind bereits verkauft. Auf dem Schwarzmarkt werden Karten für 2.000 Euro gehandelt. Allein seit dem letzten Turnier 2003 verdoppelten sich die Einnahmen aus Fernsehrechten und Ticketverkäufen. Neben der unvermeidlichen Präsenz von Puma, Adidas und Nike werden in diesem Jahr erstmals auch Coca-Cola und McDonalds als Hauptsponsoren mit von der Partie sein. Vor allem aber haben sich die französischen Großunternehmen ähnlich wie die Spieler auf das Ei gestürzt. Dank intensiven Lobbyings stammen fünf der sechs Hauptsponsoren der WM aus Frankreich. Allein die Bank Société Générale investiert 20 Millionen Euro. Ähnliche Summen lassen sich Peugeot, die Eisenbahngesellschaft SNCF und das Elektrizitätsunternehmen EDF das Spektakel kosten.
Im Gastgeberland Frankreich hofft man aber neben den erwarteten positiven Nachwirkungen für die schwächelnde Wirtschaft (die ganz positiven Prognosen sprechen von 8 Milliarden Euro Mehreinnahmen) vor allem auf einen integrativen Effekt der WM. Ähnlich wie zur Fußball-WM 1998 soll der Erfolg der "Les Bleus" die zersplitterte Volksseele der Grand Nation einen. Dazu werden seit Wochen die intellektuellen, philosophischen und ästhetischen Wertigkeiten des Rugbysports diskutiert. 70 neue Buchtitel überfluten mittlerweile die Buchläden. Pierre Galy, einer der Autoren, zeigte sich in seiner "La Grande Histoire du Rugby" erstaunt über die Entwicklung des französischen Rugbys der letzten Jahre. "Aus dem verpönten Sport der Engländer ist tatsächlich eine glamouröse Angelegenheit geworden."
Allerdings, so fügt Galy hinzu, sei Rugby in Frankreich immer noch ein Sport der Mittelklasse in Dörfern und kleineren Städten. Ein Hauptziel der Weltmeisterschaft müsse es nun sein, den Sport in die großen Städte, ihre armen Vororte und dort vor allem zu den Kindern der zahlreichen Immigranten zu tragen.
Genutzt wird der RWC auch als Bühne der Politiker. Staatspräsident und Populist Nicolas Sarkozy ließ in den vergangenen Monaten keinen Moment ungenutzt, sich mit den Nationalspielern ablichten zu lassen, und ernannte im Juni Nationaltrainer Bernard Laporte zu seinem neuen Sportminister. Premier François Fillon nannte die Weltmeisterschaft einen Moment der "nationalen Einheit", und Außenminister Bernard Kouchner machte dem französischen Kulturprotektionismus alle Ehre, indem sein Ministerium eine Kampagne mit dem Namen "Oui, je parle le Rugby" (Ja, ich spreche Rugby) startete. Jedem ausländischen Besucher soll nun per Film und Buch die eigentlich englischsprachige Rugbyterminologie auf Französisch beigebogen werden. Der Independent machte sich umgehend darüber lustig und empfahl, dass die englischen Fans für die Stunden nach dem Finale am 20. Oktober in Paris den Satz "On va fêter ça?" lernen sollten. Die Übersetzung für die Fans: Wo gehts hier zum nächsten Pub?
Möglicherweise aber sind zum Ende des Turniers schon lange keine Fans von der Insel mehr in Frankreich. Denn den Titelverteidigern werden wegen der armseligen Vorstellungen der vergangenen zwei Jahre lediglich Außenseiterchancen eingeräumt. Vielmehr wird mit einem Finale zwischen den übermächtigen "All Blacks" und Gastgeber Frankreich gerechnet. Spätestens dann wird sich auch entscheiden, welche Einschüchterungstaktik wirkungsvoller ist: das Maori-Ritual Haka oder vielleicht doch die Erscheinung von Sebastien Chabal.
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