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Rückzugsgefechte

■ Wo Kunst und Elend sich im Kreise drehen: "Open Air" oder die Krise von "Kunst im öffentlichen Raum" in Bremen

Ob Galerie, Museum oder Straße: Erst am Ort vollendet sich das Kunstwerk. Diese eigentlich triviale Erkenntnis bildet nach wie vor die Grundlage für alle „Kunst im öffentlichen Raum“. „Das Material interpretiert die Stelle und umgekehrt“, schreibt der Berliner Künstler Fritz Rahmann in einem Text über „Lokalisierte Arbeiten“. Rahmann gehört zu einer Gruppe von Künstlern, die an zentraler Stelle in Bremen vier Wochen lang ihr Material auslegten, um die Wechselwirkung von Kunst und öffentlichem Raum aufs neue auszutesten. Sie war verheerend: In der Stadt, die vor 20 Jahren das bundesweit erste Programm für „Kunst im öffentlichen Raum“ auf den Weg brachte, wird derzeit in beispielloser Schärfe gegen die gesamte öffentliche Kunstförderung polemisiert.

Die Stelle, die Rahmann und seine Mitstreiter für ihre Beiträge auswählten, ist eine besonders empfindliche. Der „Rembertikreisel“ am Rande der Innenstadt bildet den traurigen Rest eines ebenso traurigen Kapitels der Bremer Stadtplanung: Von hier aus sollte Anfang der 70er eine Trasse durch das gründerzeitliche Ostertorviertel geschlagen werden, was knapp am Widerstand der Bewohner scheiterte; seither prangt der monströse Kreisel unverrichteterdinge im Stadtbild. Auf dem fußballplatzgroßen Binnenraum hat sich Wildwuchs breitgemacht. Eine Leerstelle im öffentlichen Raum, die allein von den Junkies der weiteren Umgebung als Druckplatz genutzt wurde – bis sie vor wenigen Wochen vertrieben wurden. Diesen komplexen historischen Kontext sollten die zehn Arbeiten der Künstler des „Open Air“-Projekts interpretieren – eine Anforderung, der die Kunstwerke nicht gewachsen waren.

Dabei ließen sich die meisten Künstler sehr ernsthaft auf den Platz und seine Benutzer ein. Nach den Rückzugsgefechten der 80er, in denen die „Kunst im öffentlichen Raum“ zu marginalen „Irritationen“ tendierte, entdecken vor allem jüngere Künstler jene Schlüsselbegriffe wieder, die am Anfang des Bremer Programms standen: Demokratisierung, Partizipation und Emanzipation. Am elenden Rembertikreisel sollte, unter anderem, die Idee von „Kunst als sozialem Prozeß“ neuen Zündstoff bekommen. So haben sich viele der „Open Air“- Künstler nicht nur die Geographie und Historie der Stelle als Bezugsrahmen für ihre Arbeit gewählt. Auch und besonders die Situation der Junkies sollte reflektiert werden. Die Idee einer sozialen Funktion der Kunst aber nahmen einige der Beteiligten allzu wörtlich: Die New Yorkerin Aura Rosenberg goß den Wunsch nach Wärme in die plastische Form eines kleinen Lagerfeuers, beklebt mit Fotografien realer Flammen; ein mahnendes Leuchtfeuer installierte Silvia Steiger (Amsterdam), und der große Filzteppich von Kirsten Starcke (Berlin) sollte den Obdachlosen als ideeller wie handfester Schutz und Energiespender dienen – eine Reverenz an den Urvater der „sozialen Plastik“, die kaum schlichter gestrickt sein könnte.

Mehrdeutiger waren hingegen die Bezüge, die Fritz Rahmanns Arbeit „Konvoi“ zur Situation am Kreisel suchte: Drei Kartoffelsäcke mit ausgesucht schönen Findlingen, die allerdings das Schicksal der meisten übrigen Beiträge teilten – im Gestrüpp des Niemandslandes paßte sich das „Material“ so gut an die „Stelle“ an, daß die Kunst schlicht übersehbar wurde. Die reale „Unvermittelbarkeit zwischen Kunst und gesellschaftlicher Realität“ (Rahmann) löst sich so in Wohlgefallen auf; die Differenzen verschleifen. Da half es nichts, daß Rahmann den Akt des An-die-Stelle-Bringens seines Materials selbstironisch mit großer Geste inszenierte. Der monströse Lkw-Anhänger (Aufschrift: „Fa. Hasenkamp“), der Rahmanns Säcke herankarrte, verschwand inmitten der Blechkarawane auf dem Kreisel ebenso wie der große Rest der Kunst.

Vielleicht konnten gerade die vermeintlich oberflächlichen Arbeiten ihren Eigensinn behaupten. Marlene McCarthys Beitrag bestand aus fünf Emailletafeln, die sie stilgetreu an die Stelle von Hinweisschildern des Amts für Straßen- und Brückenbau setzte. In unnachahmlichem Zynismus hatten die Amtsleute den Junkies „Zelten verboten!“ verordnet, kurz nachdem diese auf brutale Weise vom Kreisel vertrieben worden waren. McCarthy erkannte die Zeichen der Staats- und Sprachmacht und schlug sie mit deren eigenen Waffen: „Hosen runterlassen! Amt für Straßen- und Brückenbau“ – so stand es nun für alle Passanten und Kraftfahrer zu lesen.

Aber nicht für lange. Nach drei Tagen entfernte das Amt die entlarvenden Schilder. Dann ging es mit der Kunst bergab. Denn während McCarthy den aktuellen Konflikt am Kreisel noch künstlerisch, und in engem Zusammenhang mit seinem text- und zeichenkritischen Konzept verarbeitete, begab sich der „Open Air“-Organisator Andreas Wegner nun auf den Gerichtsweg. Ein Verfahren gegen das Amt läuft; die Kulturbehörde wird mangelnder Rückendeckung bezichtigt, die heimische Presse fehlenden Flankenschutzes. Letztere schaltete größtenteils von Kunst- auf Skandalberichterstattung um. Inzwischen hat sich die Debatte auf das Niveau gegenseitiger Beschimpfungen herabgelassen: Steuerzahler gegen Künstler gegen Politiker gegen Journalisten. In den Leserbriefspalten tummeln sich die braven Bürger, die nunmehr stolz bekennen: „Ja, ich bin ein Kunstbanause.“

Zuletzt trat noch die DVU- Fraktion auf den Plan, um per Antrag den Senat aufzufordern, „daß im Bereich der Künste nicht mit bremischen Steuergeldern finanziert wird, was von der Mehrheit der Bevölkerung als ,abstoßend‘ und ,häßlich‘ empfunden wird“. Davon war zwar nie die Rede, aber auch von der Kunst nicht mehr. Denn längst hat sich die Debatte von allen Qualitätsfragen abgelöst. Nur an Verfahrensfragen reiben sich die Kontrahenten noch. So weit sich die Organisatoren und die Künstler selbst von der Kunst entfernten, so weit haben sie sich auch von der „Stelle“, um die es ging, distanziert. Die einzig nennenswerte künstlerische Reaktion blieb eine (Tages-)Zeitungsbeilage der Konzeptgruppen „BüroBert“ und „minimal club“. Ansonsten verweist Andreas Wegner darauf, daß die Künstler ihre Beiträge ja bereits abgeliefert hätten; alles weitere erfordert seiner Ansicht nach eine zusätzliche Bearbeitungsgebühr.

Daß der Prozeß künstlerischer Konfiktverarbeitung ursächlich zum Kunstwerk gehören könnte, ist den „Open Air“-Machern nicht in den Sinn gekommen. Dabei praktiziert Jochen Gerz derzeit genau dieses an der selben Stelle. In seiner Langzeitaktion namens „Bremer Befragung“ macht er das Gespräch über Kunst im öffentlichen Raum zur Kunst. Damit hat er sich gleichzeitig von der Idee einer konkreten, geographischen Stelle für die Kunst entfernt. Vielleicht ist dies der Weg, über den die Öffentlichkeitskünstler nachdenken sollten: daß das übliche An- die-Stelle-Bringen von Kunst, wie marginal oder monumental auch immer, weder der Kunst noch der sozialen Sache nützt; daß an die Stelle nachsorgender Kritik an den Verhältnissen eine andere Idee und Form von Kunst treten müßte. Die Kunst muß von der Stelle kommen, wenn sie nicht immer wieder an den Überforderungen der städtischen und stadtgestalterischen Realität zerbrechen will. Thomas Wolff

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