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Archiv-Artikel

Rücktrittsrufe hier, Schweigen da

REAKTIONEN Während die Opposition rückhaltlose Aufklärung über die neuen Details der Kreditaffäre fordert, hüllt sich die Koalition lieber in Schweigen

BERLIN taz/dpa/dapd | Bei Auftritten des Bundespräsidenten geht es normalerweise gesetzt, würdevoll und etwas langweilig zu. Das war einmal. Bei allen Terminen, die Christian Wulff derzeit absolviert, wird er von Dutzenden Journalisten verfolgt – und nach seiner Kreditaffäre befragt.

Am Sonntag war er etwa bei den Feiern zum 50. Jahrestag der Wiedereröffnung der Gedächtniskirche in Berlin zu Gast. Der Ansturm auf Wulff in der voll besetzten Kirche vor Beginn der Predigt des evangelischen Bischofs Markus Dröge war so heftig, dass sich der Präsident hinterher bei der Kirchenleitung entschuldigte. Als ihm ein Passant beim Verlassen der Kirche zurief, er solle nicht zurücktreten, antwortete Wulff: „Nein, das machen wir nicht.“ Auch andernorts, etwa in Wittenberg, betonte er in Interviews, im Amt bleiben zu wollen.

Unterdessen forderte die Opposition Wulff auf, Klarheit über das Zustandekommen des umstrittenen Privatkredits zu schaffen. Ralf Stegner, SPD-Landeschef Schleswig-Holsteins, brachte einen Rücktritt ins Spiel. „Jetzt ist ein Punkt erreicht, an dem das Amt und die Politik Schaden nehmen, wenn die Hängepartie andauert“, sagte Stegner am Samstag Handelsblatt Online. Das Staatsoberhaupt dürfe nicht im politischen Zwielicht stehen. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sagte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS), wenn Wulff das höchste Staatsamt nicht beschädigen wolle, müsse er „jetzt endlich reinen Tisch machen“. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Renate Künast, forderte Wulff laut Leipziger Volkszeitung auf, seine „Bringschuld“ rasch zu erfüllen.

In der Koalition hielt man sich am Wochenende mit erneuten Stellungnahmen zurück – kein Spitzenpolitiker von Union oder FDP äußerte sich. Nur der FDP-Hinterbänkler Erwin Lotter mahnte in der FAS einen „umgehenden Rücktritt“ Wulffs an. „Statt mit präsidialem Glaubwürdigkeitskredit den Menschen in turbulenter Zeit Orientierung zu geben, ist der Bundespräsident gefangen im spitzfindigen Formulierungskampf um seinen Hauskredit.“

Nach der persönlichen Erklärung Wulffs vom Donnerstag, in der er das Verschweigen des Kredits im niedersächsischen Landtag als Fehler bezeichnet hatte, hatten sich Koalitionsspitzen erleichtert gezeigt. Mit einer solchen Abbitte, so die Hoffnung bei manchen, sei die Affäre ausgestanden. Diese Hoffnung dürfte sich nach diesem Wochenende zerschlagen haben. ULRICH SCHULTE