Rückkehr in den Südlibanon: Ein Sofa im Trümmerfeld
Nach dem Abzug des israelischen Militärs aus manchen Dörfern im Südlibanon kehren die Bewohner zurück.
Vor etwa drei Wochen zog sich die israelische Armee aus dem Dorf zurück. Dann kam die libanesische Armee und brauchte Wochen, um wenigstens die größeren Straßen zu räumen. Und um sicherzustellen, dass sich dort keine nicht explodierten Kampfmittel mehr befinden. Erst seit vergangenem Wochenende dürfen auch Zivilisten das Dorf wieder betreten.
Nun kehren sie zurück – wenn auch nur auf Besuch, und um ein paar verblieben Besitztümer aus den Ruinen zu holen. Aber das ist gefährlich. Denn auch dort könnten nicht explodierte Geschosse und Raketen lauern. Es wird lange dauern, bis hier wieder Leben herrscht.
Vor dem ebenfalls beschädigten Gebäude der Gemeindeverwaltung steht deren Chef Abbas Awada und bespricht mit seinen Mitarbeitern die nächsten Schritte. Er sagt: „Wir haben eine totale Zerstörung der Infrastruktur. 90 Prozent der Gebäude sind völlig zerstört, die anderen zehn Prozent sind nicht bewohnbar.“ Das meiste sei nicht durch Luftangriffe zerstört worden, erklärt er, sondern während der Präsenz der israelischen Armee in dem Dorf. Es habe die Gebäude mit Sprengstoff und Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht. „Es wird Jahre dauern, das wieder aufzubauen.“
Aus vorbeifahrenden Autos wehen Hisbollah-Fahnen
Die israelische Armee argumentiert, dass dies notwendig gewesen sei, um die Infrastruktur der Hisbollah zu zerstören. Doch die ist gewissermaßen noch immer in Naqoura präsent – in den Köpfen der Menschen. Viele betrachten die Rückkehr in ihr Dorf als Teil des Widerstandes gegen Israel. In manche der Ruinen flattern die gelben Hisbollah-Flaggen im Wind, der vom Meer ins Landesinnere bläst. An anderen Gebäuden sind Plakate befestigt, die eine fallende Bombe zeigen, mit der englischen Aufschrift „Made in the USA“.
Die Hisbollah nutzt das Open-Air-Horror-Museum auf ihre Weise und zeigt, wer hier weiter den Ton angibt: Auch aus manchen der Autos, die durch den Ort fahren, werden die gelben Fahnen geschwenkt. Hisbollah-Kämpfer sind allerdings nirgends zu sehen. Stattdessen patrouillieren Jeeps der libanesischen Armee die Ortschaft.
Ein halbes Dutzend Männer und Frauen sitzen vor ihrem schwer beschädigten Familiensitz auf Plastikstühlen und rauchen Wasserpfeifen. Sie wollen sich wohl selbst beweisen, dass sie sich nicht kleinkriegen lassen. Es sei zu gefährlich ins Haus zu gehen, sagt eine von ihnen, deshalb sitze man einfach davor. Etwas anderes könne man ja eh nicht tun. Bevor die Sonne untergeht, werden sie wieder zu dem Ort zurückkehren, an den sie während des Krieges geflüchtet sind.
Die Situation in Naqoura zeigt, wie prekär die Lage im Südlibanon bleibt. Seit Ende letzten November herrscht eigentlich ein Waffenstillstand zwischen Israel und der Hisbollah. Am vergangenen Sonntag hätte das im Rahmen des 60-tägigen Waffenstillstands vereinbarte Ultimatum – die israelische Armee zieht sich aus dem Südlibanon vollständig zurück – ablaufen sollen. Doch bisher hat Israels Militär nur gut ein Drittel der im Krieg eroberten Gebiete wieder verlassen. Der Abzug aus Naqoura bleibt im südlibanesichen Grenzgebiet bisher eine der Ausnahmen.
Die Hisbollah ruft zur Rückkehr nach Süden auf
Jüngst hatten sich die libanesische Regierung und Israel unter US-Vermittlung dann darauf geeinigt, das Rückzugsultimatum um weitere drei Wochen zu verlängern. Auch damit die libanesische Armee weitere Hisbollah-Stellungen im Süden des Landes unter ihre Kontrolle bringt – was ihr im Rahmen des Abkommens aufgetragen wurde. Denn die libanesische Armee soll dort bald – mit Ausnahme von UN-Truppen – die einzige bewaffnete Kraft sein.
Abbas Dawi aus Al-Khiyam
Die Hisbollah selbst wollte das ursprüngliche Ultimatum nicht ohne ein Statement verstreichen lassen. Am Sonntag hatte sie die Menschen dazu aufgerufen, in die Dörfer im Südlibanon zurückzukehren, die immer noch von der israelischen Armee besetzt sind. So standen am Sonntag vor einigen Dörfern Wagen des libanesischen Militärs, davor die rückkehrwilligen Libanesinnen und Libanesen, dahinter die israelische Armee. Immer wieder fallen Schüsse. Am Ende des Tages sollen in ganz Südlibanon 24 Menschen getötet, 180 verletzt worden sein. Die Hisbollah hat ihre Macht und die Fähigkeit, Menschen zu mobilisieren, demonstriert. Die israelische Armee hat wie erwartet reagiert.
Schon 2006 wurden viele Häuser im Südlibanon zerstört
Die Orte, aus denen sich das israelische Militär bereits zurückgezogen hat, ähneln einander: Auch im weiter im Landesinneren gelegenen Al-Khiyam ist die Zerstörung allgegenwärtig. Abbas Dawi streift durch die Trümmer seines einstigen Zuhauses, das dem Erdboden gleichgemacht wurde. Er erzählt: Ein Onkel und drei weitere Verwandte seien hier gestorben. „Drei konnten tot geborgen werden, der Vierte liegt immer noch unter den Trümmern.“ Er sei nur gekommen, um noch Brauchbares zu finden, erzählt er, während er einen beschädigten Wassertank auf den Dachgepäckträger seines Autos schnallt.
Es sei das zweite Mal, dass seine Familie dieses Haus vollkommen neu aufbauen müsse. Das letzte Mal sei es im Krieg zwischen der Hisbollah und Israel 2006 zerstört worden. „Das ursprüngliche Haus hatte zwei Stockwerke. Das Haus, das wir dann nach dem Krieg 2006 erneut aufgebaut haben, hatte schon drei Etagen. Jetzt werden wir es erneut mit vier Stockwerken aufbauen“, kündigt er an und malt mit seiner Hand vier Linien durch die Luft.
Abbas hat keine Hisbollah-Fahne in seiner Ruine aufgestellt. Viele Anhänger der Hisbollah sprechen von einer nicht endenden „Standhaftigkeit gegenüber dem zionistischen Feind“. Abbas schweigt. Sein Widerstand ist die Zahl der Stockwerke seines Zuhauses: „Und wenn sie es noch einmal bombardieren, werden wir ein neues Haus mit fünf Etagen bauen“, sagt er.
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