Rückblick auf Neonazi-Wehrsportgruppe: Ihr Anführer hieß Karl
Vor 40 Jahren wurde die paramilitärische Neonazi-Vereinigung WSG Hoffmann verboten. Ihr Terror ist bis heute nicht abschließend aufgeklärt.
Im Zuge der Durchsuchungen wurden 18 Wagenladungen mit Sprengstoff, Waffen und Munition beschlagnahmt. Ihren Schwerpunkt hatte die WSG in Bayern, doch weder der damalige CSU-Innenminister Gerold Tandler noch Ministerpräsident Franz Josef Strauß sahen die Notwendigkeit, gegen die Organisation vorzugehen. Stattdessen bedurfte es der Entschlossenheit des FDP-Politikers Baum, der schließlich die paramilitärische Gruppe verbot.
Die Gefahr, die von der WSG ausging, wurde noch im selben Jahr überdeutlich. Am 26. September explodierte am Eingang zum Oktoberfest eine Bombe, die 13 Personen tötete und über 200 teils schwer verletzte. Unter den Toten war auch der Student Gundolf Köhler. Zeugen beobachteten ihn, wie er kurz vor der Explosion eine Tüte in einen Papierkorb legte.
Schnell wurden Köhlers Verbindungen zur extremen Rechten bekannt: Vor der Tat äußerte er Bekannten gegenüber, dass man einen Anschlag begehen müsse, der als das Werk von linken Terroristen erscheinen sollte; in Köhlers Wohnung fanden die Ermittler einen Mitgliedsausweis der Wiking-Jugend, und bekannt wurde auch, dass Köhler an Übungen der WSG teilgenommen hatte. Trotz dieser Hinweise wurde das Motiv schnell im persönlichen Bereich verortet, die Ermittlungen auf die Hypothese „Einzeltäter“ verengt und dementsprechend 1982 eingestellt.
ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter von Martina Renner, Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion im Deutschen Bundestag. Am 15. Januar 2020 erschien im Band sechs der Reihe „Wissen schafft Demokratie“ ihr gemeinsamer Beitrag zum Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke.
Neu aufgenommene Ermittlungen
Dabei blieben zahlreiche Ungereimtheiten bestehen. So wurde Köhler unmittelbar vor der Tat im Gespräch mit zwei Männern in grünen Parkas beobachtet. In Köhlers Auto, in dem Stunden vorher in Tatortnähe mehrere Personen beobachtet worden waren, wurden 48 Zigarettenkippen mit unterschiedlichen Speichelanhaftungen gefunden.
Zu den auffälligsten Widersprüchen gehört das Rätsel um ein am Tatort aufgefundenes Handfragment, das weder Köhler noch einem der bekannten Opfer zugeordnet werden kann. Dafür fand sich in den Unterlagen Köhlers ein Fingerabdruck, der mit einem Abdruck der aufgefunden Hand übereinstimmte. Ein heute durchführbarer DNS-Abgleich ist jedoch nicht mehr möglich: Das Handfragment ist noch vor Ende der Ermittlungen im Bayerischen LKA verschwunden.
2014 nahm die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen wieder auf. Dies ist vor allem Ergebnis der jahrzehntelangen Bemühungen des Journalisten Ulrich Chaussy und des Opfer-Anwalts Werner Dietrich. Bis heute dauern die neuen Ermittlungen an. Ein Ende ist entgegen anderslautender Berichte im Sommer 2019 nicht abzusehen.
Die Vereinigung im Libanon
Im Zuge der neuen Ermittlungen wird auch der sogenannte „Libanon-Komplex“ noch einmal beleuchtet. Im Libanon baute Karl-Heinz Hoffmann nach dem Verbot in Kooperation mit der PLO eine neue Wehrsportgruppe auf. In einem Ausbildungslager in einem Vorort von Beirut bezog die „Wehrsportgruppe Ausland“ Quartier. Doch der Alltag bestand entgegen den Erwartungen vieler Mitglieder nicht aus Aktionen oder der aktiven Teilnahme am Kampf gegen Israel. Vielmehr war das Leben in Bir Hassan geprägt von Bauarbeiten, Wehrsportübungen und autoritärem Drill.
Letzterer entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem um sich greifenden Sadismus, der von Hoffmann, aber ebenso von weiteren ranghohen Mitgliedern der Wehrsportgruppe ausgeübt wurde. Dieser Sadismus reichte von kräftezehrenden Zwangsmärschen mit durch Steine beschwerten Rucksäcken über körperliche, erniedrigende Strafen bis zu brutaler Folter. Dieser Folter erlag vermutlich auch das WSG-Mitglied Kay-Uwe Bergmann.
Immer wieder musste dieser Strafen über sich ergehen lassen, weil er beispielsweise gegen das von Hoffmann erlassene Rauchverbot verstoßen hatte. Zeugenaussagen legen nahe, dass Bergmann bei einer der Folterungen starb. Seine Leiche wurde nie gefunden, die Todesumstände wurden nie ermittelt.
Neue Erkenntnisse über die Terroranschläge
Die Beschäftigung der Bundesanwaltschaft mit der Wehrsportgruppe Ausland könnte also ein weiteres ungeklärtes Tötungsdelikt aufklären. Und auch im Hinblick auf das Oktoberfestattentat kann dieser Fokus neue Erkenntnisse liefern – immerhin gestand WSG-Mitglied Walter Behle nur wenige Tage nach dem Anschlag einem Barkeeper in Damaskus: „Das waren wir selbst.“ Als Behle später von deutschen Behörden zu seinem Geständnis befragt wurde, widerrief er es und machte Geltungsdrang und Alkohol verantwortlich.
Doch auch für zwei weitere Morde ist der Libanon-Komplex relevant. Am 19. Dezember 1980 wurden der jüdische Verleger Shlomo Lewin und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke in ihrem Bungalow in Erlangen erschossen. Neben den Leichen blieben am Tatort Metallreste und eine Sonnenbrille der Marke Schubert zurück. Die Metallteile konnten schnell als Reste eines selbstgebauten Schalldämpfers identifiziert werden.
Die Sonnenbrille war, wie sich später herausstellte, eine Sonderanfertigung und ein Geschenk des Herstellers an Franziska Birkmann, die nur 16 Kilometer entfernt mit Hoffmann und dem später als Täter ermittelten Uwe Behrendt in einem Schloss in Ermreuth lebte.
Ermittlungen in die falsche Richtung
Doch trotz dieser räumlichen Nähe, trotz des Umstands, dass Lewin sich öffentlich gegen die Gefahr des Neonazismus engagierte und in diesem Zusammenhang explizit Karl-Heinz Hoffmann und seine Wehrsportgruppe thematisierte, und ungeachtet der Tatsache, dass bei Hoffmann im Rahmen der Durchsuchungen nach dem Oktoberfestanschlag eine Ausgabe des italienischen Magazins Oggi gefunden wurde, in dem nicht nur Hoffmann prominent behandelt wurde, sondern in dem auch Lewin deutliche Worte gegen Hoffmann findet – trotz all dieser Hinweise gingen die Ermittlungen erst Monate nach der Tat dem Verdacht nach, Neonazis könnten die Täter sein.
Stattdessen geriet in den Ermittlungen und in der Öffentlichkeit zunächst das Opfer Lewin in den Fokus. So war in den Erlanger Nachrichten von „Ungereimtheiten“ in Lewins „schillernder Vergangenheit“ die Rede, es wurde gemutmaßt, Lewin sei ein Agent des israelischen Auslandsgeheimdienstes. Den Ermittlungsakten ist außerdem zu entnehmen, dass die Polizei nach der Tat zunächst Nachforschungen in der jüdischen Gemeinde Nürnberg anstellte. Dort war Lewin von 1977 bis 1979 Vorsitzender.
Erst im Mai 1981, ein halbes Jahr nach den Morden, wurde Schloss Ermreuth durchsucht, und die Neonazis der Wehrsportgruppe wurden in den folgenden Monaten vernommen. Im Zuge dessen berichteten WSG-Mitglieder, Hoffmann habe nicht nur zusammen mit Behrendt einen Schalldämpfer gebaut, wie er bei der Tat verwandt wurde, er soll auch versucht haben, WSG-Mitglieder für einen Mord an einem Juden zu rekrutieren. Dabei wurden etliche Details im Vorgehen beschrieben, die sich in der Tatbegehung wiederfinden.
Widersprüche, die aufgelöst werden könnten
1984 schließlich begann der Prozess gegen Hoffmann und Birkmann. Er endete zwei Jahre später mit einem Freispruch für beide in allen die Morde betreffenden Anklagepunkten. Zwar räumte Hoffmann ein, Behrendts Flucht in den Libanon unterstützt und Beweismittel vernichtet zu haben, doch am Ende galt Uwe Behrendt als Einzeltäter. Er soll sich außerdem Aussagen von WSG-Mitgliedern zufolge schon 1981 das Leben genommen haben.
Wesentliche Fragen wurden nicht beantwortet: Wie gelangte Behrendt zum Tatort? Wo ist die Tatwaffe? Handelte Behrendt wirklich allein und ohne Auftrag?
Die Wehrsportgruppe Hoffmann existiert schon lange nicht mehr, die meisten Ihrer Mitglieder leben jedoch noch. Und: Die Morde an Lewin und Poeschke wie auch das Attentat auf das Oktoberfest müssen als unaufgeklärt und aktuell gelten, solange die Widersprüche fortbestehen. Noch könnten die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft einige dieser Widersprüche aufklären.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers