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■ Rudolf Bahro, der Philosoph und Sozialökologe, DDR-Oppositionelle und "grüne Romantiker", ist 62jährig in Berlin an Krebs gestorben. Seine Lieblingssentenz: "Der Mensch muß nicht des Menschen Wolf sein."Immer gut für eine Alternative

Rudolf Bahro, der Philosoph und Sozialökologe, DDR-Oppositionelle und „grüne Romantiker“, ist 62jährig in Berlin an Krebs gestorben. Seine Lieblingssentenz: „Der Mensch muß nicht des Menschen Wolf sein.“

Immer gut für eine Alternative

Die Straße führt ins Nirgendwo. Mit Regenwasser vollgelaufene Schlaglöcher werden immer tiefer. Die Räder versinken im Schlamm. Keine Menschenseele weit und breit, nur die neblig- trübe Uckermark im grauen Oktober-Anzug. Nach mehreren Beinahe-Achsbrüchen kommt endlich ein Gehöft in Sicht mit einem alten, ausrangierten Bauwagen davor. Hier erholt sich Rudolf Bahro von seiner Chemotherapie. Ein Tisch, ein Stuhl, ein Bett, ein alter Bollerofen, ein zerlesenes Buch. In dieser mönchischen Klause empfängt der Philosoph und Sozialökologe, schwer gezeichnet von der Krebserkrankung, den Zeitungsmann zum Interview. Das war im Oktober 1995, als „es noch zu früh war“ zum Sterben, als Bahro spürte, daß ihm doch noch etwas Zeit bleiben würde. Es ist ein unvergeßliches Bild, wie dieser schwerkranke, mit dem weißen Schafswollpullover bekleidete Mann, fast ohne Haare auf dem Kopf, hochkonzentriert in seinem spartanischen Bauwagen sitzt und in einer unnachahmlichen Weise über die Welt redet, über die „Kalamität im Ganzen“, über den „Selbstlauf der Ökonomie“, die „Logik der Selbstausrottung“, über Nietzsche und Beethoven, den jungen und alten Hegel, über Meister Eckehart, Jesus, Buddha, Laotse. Alles zusammen in munterer Folge. Beim späteren Abtippen des Interviews sagt der Kollege, der sich eine Passage auf dem Band anhört, Bahros Antworten seien „breiter als das Nildelta“.

Und das waren sie. Bahro assoziierte frei, ließ dem Geist seinen Lauf und fing ihn nur gelegentlich wieder ein, wenn er nun wirklich weit vom Thema abgekommen war. Man konnte ihm stundenlang zuhören. Bahro hatte Ausstrahlung und war auf eine fast schon beängstigende, heute unbekannte Art gebildet. Man spürte, daß sich hier kein Talkshow-Schwätzer produzierte. Hier tat ein kluger Kopf etwas, was heute keiner mehr kann: grundlegend über den Lauf der Welt nachdenken. Optimistisch trotz allem, immer wieder lächelnd. „Ich bin sehr zutraulich, daß sich der menschliche Geist noch etwas einfallen läßt“, pflegte er zur Frage des Überlebens der Menschheit zu sagen. Diesen menschlichen Geist, die Kräfte derjenigen, „die sich vom Status quo nicht verbrauchen lassen“, die in ihren Köpfen über „noch unbesetzte Territorien“ verfügen, verortete er überall auf der Welt, und er setzte darauf, daß diese Restvernunft „irgendwann zusammenschießt“ und ihre Energien freisetzt. Energien für eine „neue versöhnliche Welt – ohne Kampf“. Und dann kommt seine Lieblingssentenz: „Der Mensch muß nicht des Menschen Wolf sein.“

Zwei Jahre nach diesem Interview zum 60. Geburtstag liegt Rudolf Bahro im St.-Hedwig-Krankenhaus in Berlin und spürt, daß ihm nur noch wenige Wochen bleiben. Noch einmal ein Gespräch über seine Krankheit, die Zukunft, die Krise. Er sitzt in diesem Gewimmel von Schläuchen und Krankenschwestern und redet seelenruhig über die „zu Ende gehende Formation“ des westlichen Lebensmodells, über die Parallelen zum Untergang des Römischen Reichs, aber auch seinen „Non Hodgkin“, den Blutkrebs. „Ich habe das Denken nie aufgegeben“, sagt er, auch nicht in den schlimmsten Phasen der Krankheit.

Schon mit 16 glaubte Rudolf Bahro an kommunistische Ideale, mit 32 öffnete ihm der Prager Frühling die Augen. Bahro lernte, sich für die SED zu schämen, und ging auf Gegenkurs. Im Gummikombinat Berlin schrieb er nach Dienstschluß die Abrechnung mit den Genossen: „Die Alternative“. Es war die brillante und zugleich mutige Analyse des falschen Sozialismus. Den Zustand der SED beschrieb er 1977 so: „Die Partei steht da wie die Papstkirche vor Luthers Reformation, ungläubig bis tief in die eigenen Reihen, Ratlosigkeit bis ins Politbüro.“

Bahro ließ das Manuskript seines Buches in den Westen schmuggeln, wo der Spiegel Auszüge druckte. Kurz darauf, am 23. August 1977, wurde Bahro verhaftet, aus der Partei geworfen und in Bautzen eingesperrt. Er wird zu acht Jahren wegen „nachrichtendienstlicher Tätigkeit“ verurteilt. Zwei Jahre sitzt er im Knast, dann wird er in die BRD abgeschoben.

Bahro sympathisiert dort mit den Grünen, gehört 1982 bis 1984 dem Bundesvorstand der Partei an und verläßt sie 1985 auf dem Hagener Parteitag. Der politische Kurs ist ihm zuwider: „Die Grünen sind fast noch schlimmer als nutzlos. Sie sind so durch und durch Teil des Systems geworden, daß der Kapitalismus sie erfinden müßte, wenn es sie nicht schon gäbe“, sagt er später.

Der Philosoph und Sozialökologe wird Gastdozent an der FU Berlin, kämpft für Tierschutz, besucht Bhagwan in Oregon, versenkt sich in die Lehre Buddhas und die Musik Beethovens. Er fördert Landkommunen, verlangt neue Lebensformen, ein „neues Benediktinertum“. „Ich finde es richtig, daß ein paar Leute das Hamsterrädchen verlassen und nicht mehr mitrennen, daß sie versuchen, etwas Neues aufzubauen.“

Nach der Wende gründet er das Institut für Sozialökologie. Bahro wird Professor. Aber nur ein bißchen: Man gibt ihm eine C2-Professur und schiebt ihn in die Landwirtschaft ab. Wie viele, die gegen das SED-Regime gekämpft haben, bleibt ihm die Karriereleiter versagt. Der neben Havemann und Biermann bekannteste Oppositionelle der DDR gerät nach der Wende beinahe in Vergessenheit. Anerkennung findet der „grüne Romantiker“ (Antje Vollmer) bei seinen Auslandsreisen, wo er über die Chancen für eine „neue Politeia“ redet. Er selbst ist mit seinem C2-Job aber nicht mal unzufrieden, weil das „Ausdruck der Verhältnisse ist“. Und außerdem war ja schon der Vater Landwirt, fügt er grinsend hinzu.

Beim letzten Besuch im Hedwig-Krankenhaus hat Bahro eine kleine Stereoanlage neben seinem Bett aufgebaut, wo er seinen Beethoven hört. Ein Bildband Alter Meister steht aufgeschlagen in Blickrichtung auf dem Stuhl. Die Sauerstoffmaske hängt an der Wand. „Wenn man 60 Jahre alt geworden ist, hat man sowieso Glück gehabt im Leben“, sagt er. „Die Ideale meiner Jugend – Beethoven, Schubert, Fichte, Hölderlin –, die sind alle nicht so alt geworden.“ Rudolf Bahro wird am Freitag vormittag auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin beigesetzt. Manfred Kriener

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