Rudi-Dutschke-Straße eingeweiht: Eine "neue feine Adresse" in Berlin
500 Menschen feierten die Umbenennung der Kochstraße. Rudi habe zwar nie ein Denkmal sein wollen, aber er hätte sich wohl über die Ehrung gefreut, meinte Dutschkes Witwe.
taz berlin Was, verdammt!, heißt denn nun "Revolutionierung der Revolutionäre"? Was meinte Rudi Dutschke damit? Und warum wurde ein solches Plakat am Mittwochabend in Berlin getragen? Das, immerhin, ist klar: Es war eine Verbeugung vor dem Studentenführer von 1968. Der 1979 verstorbene Berufsrevolutionär wurde an diesem Abend erstmals in Deutschland und mitten in der Hauptstadt mit einem Straßennamen geehrt. Ein Teil der Kochstraße in Kreuzberg heißt nun "Rudi-Dutschke-Straße". Und sie kreuzt, mit Vorfahrt, die "Axel-Springer-Straße".
Die taz, die nun an der "Rudi-Dutschke-Straße" liegt, hatte Ende 2004 die Initiative für diese Umbenennung ergriffen. Verbissen bekämpften die CDU und der Springer-Verlag das Ansinnen jahrelang, politisch und juristisch. Doch der Volkswille, ermittelt mit Hilfe eines Bürgerentscheids und eines Votums des Bezirksparlaments von Friedrichshain-Kreuzberg, war eindeutig: 40 Jahre nach dem Attentat sollte Dutschke wieder auf die Straße. Und 400 bis 500 Menschen, darunter die ganze Familie Dutschkes, feierten dies. Auf einer Demo. Auf seiner Straße.
Direkt unter dem mächtigen Springer-Hochhaus sagte Dutschkes Sohn Marek auf dem Demowagen, das Foto seines Vaters auf einem großen Poster im Rücken: Die Ehrung sei ein "starkes Zeichen", dass seine Ideen und Taten weiter lebten. Dann enthüllte der Kreuzberger Bürgermeister Franz Schulz (Grüne) um 17.15 Uhr schwungvoll das mit einem weißen Tuch verhüllte neue Straßenschild. Jubel, ja Jubel brandete auf. Schulz hob hervor, es hätte Dutschke wohl gefallen, dass diese Ehrung "erkämpft werden musste" und so stark demokratisch legitimiert wurde.
Wirtschaftssenator Harald Wolf von der "Linken", die die Dutschke-Straße unterstützt hatte, sagte, Berlin habe nun "eine neue feine Adresse". Die Vizepräsidentin des Bundestags, Petra Pau (Linke), wurde politischer und erinnerte daran, wie sehr die CDU und Springer die Straße bekämpft hätten. Der grüne EU-Parlamentarier Michael Cramer erntete viel Beifall mit seinen Worten: "Eine schönere Kreuzung kann ich mir nicht vorstellen." Am schärfsten aber war Christian Ströbele, der "König von Kreuzberg", wie taz-Berlin-Chef Gereon Asmuth ihn vorstellte: Der grüne Bundestagsabgeordnete und Weggefährte Dutschkes rief, ganz unironisch: "Entmachtet Springer!", ja: "der Kampf geht weiter!" - und erhielt am meisten Applaus.
Dann bewegte sich die Demo über die vielleicht fünfhundert Meter zum Rudi-Dutschke-Haus, wo sich die taz befindet. Dutschkes Witwe Gretchen sagte mit einem strahlenden Lächeln und amerikanischem Akzent auf dem Marsch: Rudi habe zwar nie ein Denkmal sein wollen, aber er hätte sich wohl über die Ehrung gefreut - sie jedenfalls tue es. Meinhard Schröder brachte ein eigenes Plakat mit: "Nie wieder 2, 3, viele Vietnams." Der 64-jährige Berliner war vor 40 Jahren nach den Schüssen auf Dutschke unter den Tausenden, die genau hier gegen Springer protestiert hatten. Am Kopf des Umzugs lief der französische Student Alain, der mit seinen spanischen Freunden zur Demo gekommen war. Dutschke und 1968 "interessieren uns wirklich", sagte der 22-Jährige, dies sei "ein Wendepunkt gewesen".
Für Piero de Vitis, der 1979 auf Dutschkes Beerdigung war, bedeutet die Umbenennung der Straße zunächst einmal Kosten. Denn er ist Chef eines italienischen Edel-Restaurants im Dutschke-Haus. Dennoch, sagte der 57-Jährige, trage er die Kosten "mit Vergnügen". Nur seine Köche seien gegen die Ehrung, da sie nun nicht mehr in der "Kochstraße" arbeiteten. Im taz-Café las und kommentierte wenig später der Kabarettist Serdar Somuncu die Bild-Zeitung. Man müsse "der Globalisierung der Interessen die Differenzierung der eigenen Haltung" entgegensetzen, sagte er. Was, verdammt!, meinte er damit? Rudi Dutschke hätte seine Freude gehabt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen