Rucola wieder im Regal: Boykott, Panik, Entwarnung
Erst haben die Supermärkte fluchtartig ihre Regale vom Rucola befreit, doch jetzt soll der beliebte Salat wieder zurückkommen und dafür strengeren Kontrollen unterliegen.
Was ist hellgrün, dünn und am Kopf goldgelb? Kreuzkraut - das wusste am 4. August der Verbraucher aus Hannover, der die Pflanze in einer beim Discounter Plus erstandenen Packung Rucola-Salat fand. Zerknittert lag sie da, gebettet auf 146 Gramm Rauke, und wartete auf den Verzehr. Allerdings wusste der Verbraucher auch, dass es sich bei dem Kraut um ein hochgiftiges Gewächs handelt. Über Umwege informierte er das Bundesamt für Risikobewertung - und löste damit einen folgenschweren Skandal aus.
Der deutsche Rucola-Markt lag seitdem weitestgehend brach, jetzt gibt es Entwarnung. Große Lebensmittelketten wie Edeka, Plus oder Netto, die den Raukesalat aus deutschem Anbau vorübergehend aus dem Sortiment genommen hatten, packen ihn ab nächste Woche wieder zurück ins Regal. Dafür sollen unabhängige Experten die Waren in Zukunft mit Eingangskontrollen auf Fremdpflanzen überprüfen.
Die Rucola-Anbauer kämpfen trotzdem mit heftigen Umsatzeinbußen. Vor allem in Rheinland-Pfalz, das mit 360 Hektar mehr als die Hälfte des Anbaugebiets von Rucola ausmacht, fürchten Landwirte um ihre Existenz. Denn gerade hier wurde in den letzten Jahren verstärkt in den Handel mit dem Trendsalat investiert; die Nachfrage war so groß, dass gar neue Erntemaschinen angeschafft wurden.
Der Boykott des "In"-Salat traf sie hart: "Die Bauern sind am Ende. Mittlerweile ernten die gar nicht mehr ab, sie schicken ihre Helfer nach Hause", klagt Josef Schlaghecken vom Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz (DLR). Ihnen sei bereits jetzt ein Schaden von etwa einer halben Million Euro entstanden.
Noch weiß keiner, wie die Verbraucher langfristig auf die Rucola-Affäre reagieren werden. Joachim Ziegler, Berater für Anbaumethoden in der Pfalz, befürchtet: "Wenn der Boykott anhält, werden die Felder bald umgepflügt. Das ist billiger, als Pflanzen zu ernten, die keiner kaufen will." Dabei haben die Inspektionen, die auf den Kreuzkraut-Fund vor zwei Wochen folgten, bislang keine weiteren "Verunreinigungen" ergeben. Das Agrarministerium in Hannover untersuchte zahlreiche Rucola-Packungen - ohne auf weitere Giftpflanzen zu stoßen.
Helmut Wiedenfeld, Forscher des Pharmazeutischen Instituts in Bonn, ist nach Angaben des Spiegels dennoch davon überzeugt, dass der Fund in Hannover kein Einzelfall war. Er ist es, der die Giftpackung untersuchte. Sein Ergebnis: 0,0025 Gramm Gift - zweieinhalbtausendmal so viel wie die gesetzlich zugelassene Tagesmenge. Wiedenfeld kritisierte besonders die zuständigen Behörden, die bislang keine Kontrollen veranlasst hatten. Dass die Ware nun vorab geprüft werden soll, begrüßt er: "Das halte ich für sicher."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen