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Rot und Rot in SchönebergDie roten Genossen von gegenüber

In Tempelhof-Schöneberg liegen die Geschäftsstellen von Die Linke und SPD auf zwei Seiten derselben Straße. Gelegentlich nehmen die einen Pakete für die anderen an. Kontakt gibt es kaum.

Es sieht aus wie das Büro eines Immobilienhais, der sich an den falschen Ort verirrt hat, denkt Eckardt Barthel, der ehemalige Kreisvorsitzende manchmal, wenn er nach drüben schaut. Diese weite Glasfassade. Die schlichte Schrift. Das Offene, Helle. Es sieht nicht aus nach: Drucksache, Beschlussempfehlung, Konsensliste. Nicht nach: Sitzungsprotokoll oder Mitgliederkartei. Viel zu hässliche Begriffe für solch eine schöne, durchsichtige Fassade. Deshalb steht dort jetzt vor allem: Die Linke. Rote Schrift, weißer Grund. Auf die Scheiben sind viele rote Rechtecke gedruckt. Und an der Glastür, winzig fast: Bezirksgeschäftsstelle. Tempelhof-Schöneberg. Das heißt also: Kommunalpolitik. Verwaltung. "Es sind 22 Meter Fensterfront", sagt Norbert Seichter, Bezirksgeschäftsführer der Linken. "Wir wollten etwas, das auf sich aufmerksam macht." Man gewinnt mit so einer freundlichen Fassade nicht gleich neue Mitglieder, das weiß er auch, aber vielleicht zieht diese inszenierte Offenheit Interessierte an.

Gegenüber verfolgen die Sozialdemokraten eine etwas andere Strategie. "Bei uns hat es eine gewisse Einfachheit", sagt Barthel, der zehn Jahre lang Kreisvorsitzender der SPD Schöneberg war. "Es hat den Charme sokratischer Bescheidenheit." Eine dreckig-beige Hauswand, ganz unten ein brauner, verputzter Streifen, kleine Fenster, Rollläden.

In der Schöneberger Feurigstraße trennen zwei Gehwege und eine gepflasterte Straße die Geschäftsstellen von Linkspartei und SPD. Die Büros liegen sich direkt gegenüber. Das eine, der Linken, neben einer ehemaligen Schlachterei, das andere, der SPD, in einem alten Fischladen. Beide nur wenige Meter von der Roten Insel entfernt: jener Siedlung, die der Bahnverkehr mit seinen Gleisen so eingeschnürt hat, dass sie nur über Brücken zu erreichen ist. In den Zwanzigern wohnten dort die Arbeiter, die SPD oder KPD wählten und gegen die Nazis kämpften. Jetzt stehen sich SPD und Linke gegenüber. Und auf den ersten Blick wirkt alles wie im Bund, wo die einen schrumpfen, weil die anderen wachsen. Eine glänzende Glasfassade gegen eine beige verputzte Mietshauswand. Wenn man diese Geschäftsstellen mit einer Geste beschreiben müsste, dann hätte Die Linke ihren Ellenbogen lässig irgendwo abgelegt, ein Fuß leicht vorgestellt, die SPD würde am Boden kauern, Hände überm Kopf. So sieht das von außen aus.

Drinnen sitzt der Linke Norbert Seichter am Ende eines langen Konferenztischs. Weiße Raufasertapete, Lampen an Stahlschnüren. An den Wänden hängt eine Foto-Ausstellung über "Die Versklavung der Erde", Bilder von dunkelhäutigen Arbeitern, von Tomaten und anderem Gemüse. Am Ende des Tischs steht ein Regal voller ledergebundener Bücher. Es sei wichtig, wie Die Linke in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, sagt der Geschäftsführer. Nach der Fusion von PDS und WASG sollte die Partei in die Berliner Westbezirke hinein expandieren. Seichter hat sich für die Landesgeschäftsstelle um Tempelhof-Schöneberg gekümmert. Es gab zwei Büros. Eines irgendwo draußen in Tempelhof. Und einen kleinen Laden in Schöneberg. Viel zu unscheinbar, um von dort aus einen fusionierten Großbezirk zu erobern. Seichter sah sich 30 Räume an, der in der Feurigstraße gefiel ihm am besten. Als er die Straße hinunterschaute, war da die SPD. Egal, dachte er. Sie nannten ihren Laden dann "Rote Insel".

Die Sozialdemokraten saßen zu dem Zeitpunkt 25 Jahre da. Sie hatten damals in den Kiez hineingewollt, erinnert sich der ehemalige Kreisvorsitzende Barthel. Anfang der Achtziger war das, und die Schöneberger SPD musste aus ihrer Bauernvilla, ein paar Ecken weiter, raus. Sie hätten ins Rathaus gekonnt, da hat die CDU ihr Büro, aber die Idee fand keiner wirklich gut. Der ehemalige Fischladen in der Feurigstraße lag mitten im Wohngebiet, vor allem hatte er einen großen Keller. Eckardt Barthel saß vier Perioden im Berliner Abgeordnetenhaus und zwei im Bundestag. Allein dafür hat er sechs Wahlkämpfe mitgemacht. Er weiß, was so ein Keller wert ist.

Sie haben dort nicht nur stapelweise Plakate gelagert und geklebt, sie haben zeitweise auch die Inselzeitung gedruckt, an einer grauen, alten Maschine. Von diesem Keller, von dieser Geschäftsstelle aus haben sie lange eine SPD-Mehrheit im Kiez gesichert. Sie waren schon immer ein eher linker Kreis. Als Salvador Allende, der sozialistische Präsident Chiles, Ende der Siebziger bei einem Putsch umkam, haben sie beantragt, den Kaiser-Wilhelm-Platz in Allende-Platz umzubenennen. "Na ja", sagt Barthel heute.

Wahrscheinlich würden sich Eckhardt Barthel und Norbert Seichter gar nicht so schlecht verstehen. Sie sind beide etwa gleich alt, ergraute Jacket-und- Jeans-Typen. Der eine kommt zwar aus einem 68er-Westberlin und der andere aus der DDR, wo er Kulturfunktionär war, Parteisekretär an der Volksbühne. Sie wirken aber beide auf eine ähnliche Art "vernünftig links", Barthel eher geradlinig, Seichter ein wenig geläutert. Nur kennen sie sich nicht. Es gibt kaum Kontakt zwischen SPD und Linkspartei, trotz der räumlichen Nähe. Gelegentlich nehmen die einen für die anderen mal ein Paket an. Seichter hat die SPD-Kollegen zur Eröffnungsfeier des Büros eingeladen. Es kam keiner.

Beide Parteien werben um die Kiezbewohner. Auf der einen Straßenseite machen sie bei der SPD ihre Mieterberatung, jeden zweiten Freitag im Monat, in einem kleinen Nebenraum, in dem nicht viel ist außer einem Tisch, ein paar Stühlen und einer Küchenzeile. Lena Heinze, die Leiterin der Geschäftsstelle, eine große junge Frau, Ende 20, tippt Protokolle von Vorstandssitzungen, gibt Genossen Flyer oder Plakate mit, unterhält sich manchmal mit Obdachlosen aus dem Heim gegenüber, die hereinschauen, und freut sich, dass man so nah an der Realität dran ist. Zu den Linken gegenüber sagt sie nur: "Man akzeptiert jede Partei in ihrer Präsenz."

Auf der anderen Seite empfangen sie donnerstags Arbeitslose zur Beratung, zum Austausch, am zweiten und am vierten des Monats gibt es auch Frühstück. Ein Obdachloser aus dem Heim nebenan ist schon Parteimitglied geworden, der kam einfach irgendwann vorbei. Gerade hat er sogar wieder eine Wohnung gefunden. Sie führen Filme vor, in dieser Woche eine Arte-Doku über Che Guevara, sie laden Theatergruppen ein und Senatoren der Linkspartei. Sie geben sich offen, und sie tun das mit einem gewissen Erfolg. Ihre Mitgliederzahlen haben sich verdoppelt, seit sie in dem Westbezirk auf Expansionskurs sind. Auf 140. Das macht sie für die SPD nicht gerade zu einer ernst zu nehmenden Gefahr. Die hat über 2.000 Mitglieder in Tempelhof-Schöneberg. Das Gebiet um die Rote Insel ist eine rote Gegend geblieben, eine sozialdemokratisch rote, grün gesprenkelt mittlerweile. Und Eckardt Barthel sagt, dass er sich bei manchen Sitzungen fühlt wie in einem Proseminar der Freien Universität - so viele Junge sind da. Es werden mehr. In der Bezirksverordnetenversammlung stellt die SPD 19 Abgeordnete, Die Linke einen. "Sie brauchen uns hier nicht", fasst Norbert Seichter die Sache knapp zusammen. So sieht das von innen aus.

Im Bund fühlt sich die SPD von einer Linkspartei, die großzügig Wohltaten fordert, eingequetscht. Im Land Berlin koaliert sie still mit den PDS-Nachfolgern. In Tempelhof-Schöneberg ist Die Linke ihr schlicht egal. Da mag sie noch so gegenüberliegen. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn die Geschäftsstelle eine zwei Kilometer lange Glasfassade hätte.

Ein alter Reflex spielt dabei eine Nebenrolle. Die Linke gilt immer noch als Osten. Das mögen viele Westberliner nicht. So erzählen das nicht nur Linksparteiler, sondern auch alte Genossen. Es interessiert diese Westberliner nicht, wie sich die Partei mit ihrer Geschichte auseinandersetzt - nicht nur auf den Parteitagen, auch an dem Konferenztisch in der Schöneberger Geschäftsstelle. Obwohl es dort eine andere Auseinandersetzung ist als etwa in Marzahn-Hellersdorf, wo Seichter Bezirksvorsitzender ist, wo Die Linke wichtig ist, mächtig, eine Mehrheit hat, wenn auch keine absolute mehr. Da diskutieren sie, wenn es um die DDR geht, immer gleich ihre Biografien mit und fühlen sich sehr schnell angegriffen, wenn ihre Arbeit plötzlich nichts mehr gelten soll, weil sie beim falschen Staat beschäftigt waren. In Tempelhof-Schöneberg betrachten die Linke-Vorständler die Sache theoretischer, weil ihnen die eigene Erfahrung fehlt. Von alledem bekommen die Westberliner mit ihrer alten Antipathie wenig mit, auch wenn es jetzt diese durchsichtigen Fassaden gibt, für die Seichter gesorgt hat, nicht nur in Schöneberg, auch in Marzahn. Im Osten sind zweimal schon Steine durchgeflogen - waren wahrscheinlich die Rechten. Im Westen spucken die Leute nur dagegen. Manchmal. Das lässt sich abwischen.

Es wird aber besser. "Immer mehr begegnen uns mit freundlicher Akzeptanz", stellt Seichter fest. Das freut ihn. "Auch wenn die uns deswegen noch lange nicht wählen." Er hofft, dass die Mauer in den Köpfen kleiner wird. Bei den Jüngeren vor allem. So kriegt Die Linke vielleicht auch in Tempelhof-Schöneberg noch ein paar mehr Mitglieder, Wähler, Bezirksverordnete. Womöglich kommen dann irgendwann auch mal die von der SPD rüber.

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