Rot-Rot hat nur noch eine Stiime Mehrheit: Die Luft wird dünn für Klaus Wowereit
Die SPD-Abgeordnete Canan Bayram wechselt überraschend zu den Grünen. Damit haben SPD und Linke nur noch eine Stimme Mehrheit im Berliner Abgeordnetenhaus.
Die rot-rote Koalition ist gehörig ins Straucheln geraten. Die bisheriger SPD-Abgeordnete Canan Bayram hat am Dienstag überraschend ihren sofortigen Übertritt zu Grünen bekannt gegeben. Damit haben SPD und Linke nur noch einen Sitz mehr im Parlament, als CDU, Grüne und FDP. Und selbst dieser knappe Vorsprung wackelt. Denn auch die Zukunft des bisherigen haushaltpolitischen Sprechers der Linken, Carl Wechselberg, ist offen. Er hatte letzte Woche wegen heftiger Kritik an seiner Partei alle Ämter niedergelegt, seinen Parlamentssitz aber vorerst behalten. Über weitere Schritte wolle er erst nach einer Aussprache mit der Fraktion entscheiden, sagte eine Sprecherin. Die Aussprache dauerte bei Redaktionsschluss noch an.
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Bayram begründete ihren Übertritt mit wachsender Unzufriedenheit an der SPD. Besonders bei Frauen- und Flüchtlingspolitik laufe vieles in die falsche Richtung. Nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe, sei eine Aussage von Innensenator Ehrhart Körting (SPD) gewesen. Der hatte die Ausschreitungen am 1. Mai mit der Massenvergewaltigung einer Frau verglichen. "Ich habe deswegen das Gespräch mit Körting gesucht", sagte Bayram. Weder der Senator, noch der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion hätten eine Entschuldigung bei den Frauen für notwenig gehalten, bedauerte Bayram. Schon zuvor sei sie immer wieder an die Grenze dessen gestoßen, "was die Fraktion leisten will und kann". Besonders aufgestoßen ist ihr die Besetzung eines BVG-Vorstandsposten mit einem Mann. "Hier wurden eindeutig gesetzliche Regelungen missachtet", sagte die bisherige frauenpolitische Sprecherin der SPD. Als sie das kritisiert habe, sei ihr gesagt worden, man halte sich an ein solches Gesetz nur, wenn es gefalle.
Auch in der Flüchtlings- und Verkehrspolitik sehe sie sich mittlerweile bei den Grünen besser aufgehoben, sagte Bayram. So habe sie auf dem SPD-Landesparteitag vergeblich dafür geworben, dass die Ausländerbehörde nicht mehr Schulzeugnisse einsehen solle, bevor sie über Aufenthaltsverlängerungen entscheide. Zudem werde am geplanten Ausbau der A 100 nichts mehr geändert. "Das möchte ich nicht mehr mittragen", sagt Bayram. Die Stadtautobahn soll ihren Wahlkreis in Friedrichshain schneiden.
Die Fraktionsspitze der Grünen begrüßte den Übertritt euphorisch. Franziska Eichstätt-Bohlig bezeichnete Bayram als "urgrüne Persönlichkeit". Über ein Ende der rot-roten Koalition wollen die Grünen aber noch nicht spekulieren. "Erstmal werden wir die Opposition stärken", betonte der Co-Vorsitzende Volker Ratzmann. Alles weitere werde man sehen.
Der CDU-Fraktionschef Frank Henkel sah Rot-Rot "am Rande der Regierungsfähigkeit". Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit werde durch "dieses politische Erdbeben deutlich geschwächt". Denn seine Mehrheit fuße nur auf seiner eigenen Stimme. Über ein Misstrauensvotum denke die CDU "im Augenblick nicht" nach, ergänzte Fraktionssprecher Michael Thiedemann.
Der Regierende Bürgermeister bemühte sich um Gelassenheit. "Wowereit bedauert die persönliche Entscheidung" von Bayram, sagte Senatssprecher Richard Meng. "Er ist sich sicher, dass seine Politik weiterhin eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus hat". Die liegt derzeit ganz genau bei 75 zu 74 Stimmen. SPD-Fraktionschef Michael Müller betonte am Abend, die Arbeit der Koalition gehe weiter. Neuwahlen, so Müller, seien derzeit kein Thema.
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