Rot-Rot-Grün auf Bundesebene: Plötzlich wieder möglich
Im Bund gibt es ein klares Bekenntnis zu Rot-Rot-Grün nur von Teilen der Linkspartei. Vor allem die SPD hält sich noch bedeckt.
Das war’s. Die Landtagswahl in Berlin war die letzte von fünf in diesem Jahr und damit auch die letzte vor dem Bundestagswahljahr 2017. Nachdem im Land Berlin – mangels ernsthafter Alternativen – die Zeichen auf Rot-Rot-Grün stehen, rückt auch auf Bundesebene die Diskussion wieder in den Vordergrund: Eine Große Koalition ist nicht die einzig denkbare Möglichkeit.
Eine rot-rot-grüne Koalition, wie sie linke SPDler, Grüne und pragmatische Teile der Linkspartei gern zimmern würden, galt noch zu Jahresbeginn als mausetot, jetzt ist sie zumindest wieder im Wachkoma. Kann Berlin zu einem Signal für die Bundestagswahl werden?
Ein klares Bekenntnis zu einem möglichen rot-rot-grünen Regierungsbündnis, das die Merkel-Regierung ablösen könnte, gibt es bis dato nur von Teilen der Linkspartei. Die SPD-Spitze hält sich bislang bedeckt, die Grünen liebäugeln eher mit der CDU. Kein Wunder, dass sich am Tag nach der Berlin-Wahl nur führende Linksparteiler so weit aus dem Fenster lehnen, um den Blick auf 2017 zu richten.
Die Grünen sind erst mal scharf darauf, in Berlin kräftig mitzumischen – das machten die beiden Parteichefs Simone Peter und Cem Özdemir am Montag deutlich. „An den Grünen kommt keiner mehr vorbei“, jubelte Peter. Und trotz der 2,4 Prozentpunkte, die seine Partei im Vergleich zur Wahl 2011 verloren hat, verkündete Özdemir: „Wir empfinden das Ergebnis als Regierungsauftrag.“
Alles scheint möglich
Die Grünen wären dann in 10 von 16 Landesregierungen vertreten – in wechselnden Konstellationen. In Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen regieren sie mit der SPD, in Hessen und Baden-Württemberg mit der CDU, in Sachsen-Anhalt mit der SPD und der CDU. In Thüringen und demnächst wohl auch in Berlin koalieren sie mit der SPD und der Linkspartei. Alles scheint möglich.
Allerdings haben in der Bundespartei derzeit vor allem jene Oberwasser, die zu einem schwarz-grünen Bündnis tendieren – bedingt vor allem durch das sensationell gute Ergebnis in Baden-Württemberg, wo die Grünen mit Winfried Kretschmann zum zweiten Mal hintereinander den Ministerpräsidenten stellen und die CDU zum Juniorpartner degradiert haben.
Dass von Berlin eine bundespolitische Signalwirkung ausgehen könnte, davon will selbst die Parteilinke Peter nicht sprechen. Man werde generell die Erfahrungen aus den Ländern in die Überlegungen einbeziehen, „entscheidend wird es aber nicht sein.“ Ihr Kovorsitzender Özdemir betonte, was in einem Bundesland geschehe, sei kein „Modell für den Bund“.
Linksparteichefin Katja Kipping
In der Linkspartei, die als einzige im Bundestag vertretene Partei am Sonntag zulegen konnte, wird das zumindest in der Führungsspitze anders gesehen. „Das Ergebnis macht Mut auf neue linke Mehrheiten“, sagte die Parteivorsitzende Katja Kipping am Montag.
Der Parteivorstand hatte am Wochenende auch über den Vorschlag von Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn diskutiert, im Wahlkampf für 2017 klar auf die Regierungskarte zu setzen. „Eine Koalition sehen wir als Chance, um mit der SPD und auch mit den Grünen wieder auf einen Friedenspfad zu kommen“, sagte Ko-Parteichef Bernd Riexinger. Er verwies jedoch darauf, dass für eine Regierungsbeteiligung im Bund noch einige Differenzen zwischen SPD, Linkspartei und Grünen ausgeräumt werden müssten. So forderte er den Abzug der Bundeswehr aus allen Kampfeinsätzen.
Matthias Micus vom Göttinger Institut für Demokratieforschung empfahl der SPD, offensiv an einer Erzählung für ein linkes Lagerbündnis zu arbeiten: „Das müsste man als Bündnisprojekt konstruieren, so etwas wie das sozialliberale Bündnis Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre, das einen gesellschaftlichen Aufbruch verkörperte.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Scholz fordert mehr Kompetenzen für Behörden