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Kanzlerkandidat Gerhard Schröder gibt den Ex-Jugendlichen im Cinemaxx. Joschka Fischer kämpft gegen Godzilla  ■ Von Judith Weber und Heike Dierbach

Bisweilen unterscheiden sich Kanzler und Kanzlerkandidat inhaltlich. „Ich habe eine Tochter, die ist siebeneinhalb“, erzählt Gerhard Schröder im Hamburger Cinemaxx. Die Jugendlichen im Publikum kann er deshalb nicht nur verstehen. Er ist von ihren Problemen gar „persönlich betroffen“: „Ich habe immer darunter gelitten“, nicht zu einer höheren Schule gehen zu können, sagt Schröder. Das war, weil seine Mutter kein Geld hatte, berichtet der SPDler, und einem Blonden in der vorletzten Reihe entfährt ein langgezogenes „Ooohhh“. „Pst“, zischt die Frau neben ihm, die Ruhe haben will, weil sich „das im Kino so gehört“.

„Youth for Schröder“ heißt der Film, der gestern nachmittag zum ersten und einzigen Mal in Hamburg gezeigt wurde – eine Live-Produktion für Jugendliche ab 18. In der Hauptrolle: Der Ministerpräsident von Niedersachsen, der auch mal jung war und jetzt Kanzler werden möchte. Von diesen Umständen handelt auch die Inszenierung. „Ich komme aus kleinen Verhältnissen“, ruft Schröder. Deshalb will er nicht, „daß die Frage, ob jemand studieren kann, von Mamas oder Papas Geldbeutel abhängt“. Ausbildungsplätze möchte er schaffen, Helmut Kohl ablösen und den Bundesetat für Wissenschaft verdoppeln. Die 1000 KinobesucherInnen klatschen.

Der Star des Vorfilms verfolgt die Inszenierung von der ersten Reihe aus. Wolfgang Clement heißt er, ist auch in der SPD und regiert Nordrhein-Westfalen; aber wer will das wissen? Während Clement auf dem Podium steht und redet, wenden Kameraleute und FotografInnen ihm den Rücken zu. Sie nehmen lieber Gerhard Schröder auf, der sich im Kinosessel räkelt und auf seinen Auftritt wartet, den er mit einer Karikatur auf Leuchtplakaten nur „mäßig“ beworben findet. Wenigstens hängt das Schröder-Plakat nicht weit von den anderen Kinopostern – nahe bei der Werbung für einen Film namens „Big Trouble“ und dem Gesicht von Robert Redford.

Die PassantInnen am Gänsemarkt dagegen haben zur selben Zeit die Wahl zwischen Godzilla, dessen Kralle vom Ufa-Palast winkt, und dem grünen Spitzenkandidaten Joschka Fischer, der selbiges vom gegenüberliegenden Podium tut. Jetzt allerdings noch nicht – die versammelte Journaille versperrt ihm den Weg. „Dann kann das Volk ja wieder heimgehen“, ärgert sich ein Rentner. Ob denn wenigstens „die Sager“ schon in Sicht wäre?

Für die Kurzweil swingt es aus den Lautsprechern: „So many hungry people living on the streets today“ – das Stichwort für die einleitende Rede der Zweiten Bürgermeisterin Hamburgs. An jenen Leuten auf der Straße sei allein die Bundesregierung schuld, ruft Krista Sager in Richtung Godzilla und der rund 500 ZuhörerInnen. Auch eine Große Koalition könne die Lage nicht verbessern, „denn zwei große Tanker zusammen sind nicht manövrierfähig“. Erst ein kleines grünes Lotsenschiff bringe die erforderliche Wendigkeit, weiß Sager – „ich wohn' ja am Hafen“ – und übergibt an den Genossen in T-Shirt, Anzug und Trenchcoat.

„Ist doch verrückt“, meldet sich der Rentner wieder, „früher war die Polizei hinter ihm her – jetzt räumen sie ihm den Weg frei.“ Und führen auch jenen leicht verwirrten Zuhörer vom Platz, der immer wieder ruft: „Du Arschloch, Joschka!“ Fischer nimmt's gelassen. Richtig in Wut redet sich der Kandidat dagegen bei den größten „Skandalen in diesem Land“: Kinderarmut und legale Steuerschlupflöcher für Sitzenverdiener. Nicht daß der ehemalige Sponti Einkommensmillionären ihr vieles legales Geld vorwerfen oder gar zum „Klassenkampf“ aufrufen möchte: „Das ist natürlich Quatsch!“

Gut findet der grüne Kandidat auch, „daß wir eines der reichsten Länder dieser Erde sind“. Und das „soll auch so bleiben“, verspricht Fischer, auch wenn die Grünen an der Regierung den Spitzensteuersatz senken („aber der wird dann auch gezahlt!“), das Kindergeld erhöhen, Energie besteuern und aus der Atomkraft aussteigen wollen. Und das Staatsbürgerschaftsrecht reformieren wollen – „schließlich profitieren wir von den internationalen Märkten“. Applaus.

Nach rund 50 Minuten hallen die letzten Worte von der Wand des Ufa-Kinos wider. Eine Gruppe von jungen Leuten steht für „Wild Things“ an. Gegenüber wartete man darauf vergeblich.

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