Rot-Grün entzückt die Investmentbanker: Das neue Deutschland
Das Wort von der „Revolution“ geht um. Keine linken Utopisten führen es im Mund, sondern Investmentbanker und Aktienanalysten. Und sie preisen damit nicht die Abschaffung der Marktwirtschaft, sondern die Steuerreform der Bundesregierung. Die könnte nach der Einschätzung der Experten endlich die verknöcherten Konzernstrukturen in der Deutschland AG aufbrechen, die hier die Neuorientierung der hiesigen Wirtschaft so lange behindert haben. Verkehrte Welt: Haben lange linke Kritiker gegen die Herrschaft von Banken und Versicherungen gewettert, sind es nun die Investoren, die Druck machen und die Konzerne entflechten wollen.
Nach jahrelanger konservativer Regierung vollzieht ausgerechnet Rot-Grün die entscheidenden Schritte. Noch ist nicht klar, ob Finanzminister Eichel richtig kalkuliert hat und ob die Steuerreform die Wirtschaft wirklich so stark ankurbelt wie erhofft. Oder ob demnächst noch stärker gespart werden muss.
Doch das Signal für die Wirtschaft ist deutlich: War der Standort Deutschland bis vor kurzem noch als verkrustet und teuer verschrien, so ändern sich die Töne rasant; inzwischen wird Deutschland als „Niedrigsteuerland“ gehandelt, und deutsche Aktien gelten als heißer Anlagetipp. Interessanterweise ist die Botschaft in Deutschland noch nicht so richtig angekommen. Ausgerechnet die Dauerkritiker, die amerikanischen Investmenthäuser, spenden das erste Lob. Als Morgan Stanley vor zwei Wochen seine „New Germany Story“ präsentierte, trauten die deutschen Fondsmanager ihren Ohren nicht. Denn in den deutschen konservativen Wirtschaftsblättern überwiegen die kritischen Stimmen, werden die Lobbymaschinen in Stellung gebracht. Das Investmenthaus Merrill Lynch sieht vor allem die CDU derzeit als möglichen Bremsfaktor für das gepriesene Steuerpaket Eichels.
Der derzeitige Spendenskandal der CDU ist geradezu prototypisch für das Geflecht der alten Deutschland AG. Politisch ist dieses Kapitel noch lange nicht aufgearbeitet. Wirtschaftlich vollzieht sich derweil wirklich eine komplette Neuorientierung. Ein deutliches Signal war die Übernahmeschlacht zwischen Mannesmann und Vodafone. Erstmals ist ein deutscher Konzern feindlich übernommen worden. Die Bundesregierung unterstützt nun diesen wirtschaftlichen Wandel. Ihr Erfolg freilich wird sich daran messen lassen müssen, ob sie diesen Wandel sozial verträglich gestalten kann. Matthias Urbach
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen