■ Rot-Grün beschließt: 620-Mark-Jobs sollen steuerfrei werden: Schnellschuß mit Nebenwirkungen
Rot-Grün, erst kurz im Amt, hat mit der Neuregelung der 620-Mark-Jobs das erste Fiasko erlebt. Denn der Kompromiß zu den Billigjobs zeigt: Der politisch organisierten Umverteilung sind enge Grenzen gesetzt. Neue, höhere Abgaben für die Beschäftigten einzuführen, um damit die Sozialkassen aufzufüllen, dafür gibt es keine gesellschaftliche Mehrheit. Höhere Abgaben für die Arbeitgeber sind noch schwerer durchzusetzen. Sie drohen stets damit, Jobs zu streichen.
Der rot-grüne Kompromiß will daher niemandem weh tun – und ist dennoch folgenreich. Denn dieser Kompromiß konterkariert teilweise gerade, was die SPD wollte. Denn ursprünglich sollte das Sozialversicherungsprinzip durch die Einbeziehung der Minijobs gefestigt werden. Jetzt aber wird das Versicherungsprinzip eher ausgehöhlt. Außerdem werden die Minijobs für die Beschäftigten unter Umständen finanziell noch attraktiver.
Stichwort Versicherungsprinzip: Die Arbeitgeber zahlen künftig für ihre geringfügig Beschäftigten Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung. Die Arbeitnehmer erwerben dadurch aber keine neuen Ansprüche auf Rente oder Krankenschutz. In der Praxis mag das die Beschäftigten wenig kümmern, die meisten sind schon – etwa über den Ehepartner – versichert. Politisch aber zeigt sich darin eine merkwürdige Unbekümmertheit, Sozialbeiträge einzutreiben, ohne über die Gegenleistungen zu reden.
Zudem wird die Ungleichheit zwischen Minijobbern und regulär Beschäftigten nun größer, nicht kleiner. Denn 75 Prozent der geringfügig Beschäftigten mußten bisher die Pauschalsteuer selbst bezahlen. Diese Besteuerung fällt jetzt weg. Die neuen Sozialversicherungsbeiträge kann der Unternehmer jedoch nicht auf die Arbeitnehmer abwälzen, in allgemeinverbindlich tariflich gebundenen Branchen auch nicht den Bruttolohn kürzen. Die Folge: Der Nettolohn der Beschäftigten steigt, die Minijobs werden für den Arbeitgeber teurer.
Das klingt gut: eine Umverteilung von oben nach unten. Beschäftigte in Minijobs stehen sich damit finanziell jedoch deutlich besser als ihre Kollegen in regulärer sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Denn die müssen Versicherungsbeiträge zahlen und zudem ihren Lohn noch versteuern. Gerechter ist das nicht. Das dürfte auch irgendwann mal Schröder und seinen Sozialdenkern schwanen. Mit Turbogesetzen ist eben noch lange kein gerechterer Sozialstaat zu machen. Barbara Dribbusch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen