■ Standbild: Rosas queere Mutmaßungen
„Schwuler Mut. 100 Jahre Schwulenbewegung“, Fr., 22.30 Uhr, arte
Im vorigen Jahr war in der Berliner Akademie der Künste etwas zu sehen, das die Hausherren selbst nur naserümpfend in ihren Räumen tolerierten: „100 Jahre Schwulenbewegung“ – eine Ausstellung samt Kulturprogramm, die sich am Ende nicht nur als Treffpunkt der Metropolenhomos bewährte, sondern vor allem als magischer Ort für schwule Männer, die aus der Provinz sind und sonst nie etwas mit der Gay Community – der Homogemeinde – zu tun haben. Einer der Macher der Ausstellung war Rosa von Praunheim. Er ist gut 25 Jahren aktiv und war dabei nicht immer ein begnadeter Filmemacher, aber gewiß der mutigste und und damit wichtigste unter den Künstlern, die ihre Homosexualität nicht beschweigen.
Für den Hessischen Rundfunk hat der Berliner nun einen Dokumentarfilm gedreht, der am Freitag auf arte zu sehen war. Typisch Rosa von Praunheim: Das Werk fällt kraß auseinander. Zunächst eine Stunde stilisierter Geschichtsunterricht mit der Berliner Künstlerin Ovomaltine als Moderatorin durch die Unterdrückungsgeschichte der Homosexuellen. Alles war drin, nichts blieb ausgespart: Magnus Hirschfeld, Eulenburg-Affäre, Paragraph 175 und Rosa Winkel. Doch es blieb Volkshochschule – mit nicht einmal originellen Bildern. Kundige Homos kennen die Daten, den unkundigen waren die Bilder gewiß allzu ungenügend – und die Heteros haben vermutlich gar nichts verstanden.
Viel besser, ja, rührend überhaupt der Rest: Bilder und Nachrichten, Eindrücke von und Blicke nach San Francisco. Da wurde ein offenes Muster einer menschenwürdigeren Gesellschaft sichtbar – junge Männer, die dort ein Coming-out ohne Elterndruck erleben können; homosexuelle Eltern, deren Kinder glücklich leben; Lesben, die in einer Beziehung die gleichen Probleme haben wie Heteros auch; ältere Schwule, die sich dort nicht genötigt fühlen, Falten und Fett zu verstecken.
Ein Jerusalem der Queer Nation sozusagen, einer Gemeinde, in der Schwule und Lesben fraglos sind und nichts Grelles von sich behaupten müssen, um sich identifizieren zu müssen. Das hat Rosa v. P. sichtbar, nachfühlbar machen können. Und in dieser Hinsicht hat der Autor einen der bislang besten Berichte über die Zukunft der „Sexuellen Zwischenstufen“ (Hirschfeld) angefertigt. Man wünscht sich hiervon mehr, viel mehr. Jan Feddersen
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