Romandebüt von Kayo Mpoyi: Gott trägt Brille
Autorin Kayo Mpoyi ist erst in Tansania, dann in Schweden aufgewachsen. Für ihr Debüt „Mai bedeutet Wasser“ wählt sie eine berührende Erzählstimme.
In Kayo Mpoyis Roman „Mai bedeutet Wasser“ entfaltet das Erzählen von Geschichten eine mächtige Kraft. Indem ihre Hauptfigur, das Mädchen Adi, die Geschichten ihrer Vorfahren erzählt, rettet sie ihrer todkranken jüngeren Schwester das Leben. Das vermag die 1986 in Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) geborene, in Tansania aufgewachsene und im Alter von zehn Jahren nach Schweden gezogene Autorin wiederum so lebendig zu erzählen, dass man daran keinen Zweifel hegt.
Der Roman wurde als bestes schwedisches Debüt ausgezeichnet. Die Handlung setzt 1989 ein und endet 1994. Adi, deren Perspektive die Autorin einnimmt, ist zu Beginn fünf Jahre alt. Mit ihrer Familie lebt sie im Diplomatenviertel von Daressalam in Tansania. Der Vater ist ein strenger, gottesfürchtiger Mann, dem gegenüber die liebevollere Mutter oft nachgibt. Nach der Geburt Mais fühlt sich Adi zurückgesetzt, die zwölfjährige Schwester Dina trifft sich lieber mit Jungs.
Der Nachbar Monsieur Éléphant aber verzückt Adi mit Süßigkeiten und Zuwendung – und missbraucht sie. Der Missbrauch nimmt im konkreten Erzählen gar nicht so viel Raum ein, ist jedoch als Triebkraft für die große Verunsicherung, die Schuldgefühle Adis spürbar.
Sie erfindet sich einen eigenen Gott: ein Schwarzer Junge im Anzug und mit Brille. Mit ihm ist sie im stetigen Dialog. All die Fragen, die unmöglich an die Eltern zu richten sind – insbesondere ist alles Sexuelle mit Unreinheit und Scham behaftet –, gehen an ihn. Das ist ein starker erzählerischer Einfall. Darin erfährt das Bedrückende und Schwere im Spiegel der kindlichen Offenheit eine manchmal schmerzlich-komische Färbung. Es ist ein ganz spezieller, nur scheinbar leichterer Ton.
Koloniale Unterdrückung, rassistische Gewalt und Erniedrigung
Die Autorin entfaltet eine Vielschichtigkeit des Erzählens auch, indem sie Geschichten in die Geschichte einbaut und darin von Adis Vorfahren spricht. Diese Kapitel erlauben es, die kindliche Perspektive zu überschreiten. Zugleich zeigen sie, wie sehr diese Geschichten und Familienmythen bis in die Gegenwart wirken; öffnen so die Persönlichkeit der Mutter, des Vaters, machen sie begreifbarer. Gehen weit zurück, erzählen von kolonialer Unterdrückung, rassistischer Gewalt und Erniedrigung und weisen so über das Individuelle hinaus.
Mpoyi entwirft zudem das eindrückliche Bild einer patriarchalen Kultur, deren Strafen vor allem die Frauen treffen: „Fürchtet um eure Tugend, denn im Körper der Frau lebt das Königreich. Fällt sie, fallen alle mit ihr“, hieß es in der Jugend der Mutter. Hieß es zu Zeiten der Urgroßmutter, deren leidvolle Geschichte die Familie besonders prägt. Verkündet der Vater in der Erzählgegenwart.
Mit dem Mädchen Adi hat die Autorin eine eigenwillige Figur, eine überzeugende und berührende Erzählstimme geschaffen. Es ist Adis Zugang zu den Worten, zum Erzählen, der ihr hilft, dem erlittenen Trauma und der Gegenwärtigkeit von Verlust und Schmerz eine Resilienz entgegenzusetzen. Ein Zutrauen zu sich, das auch den klaren Wunsch weckt, Schriftstellerin zu werden. Das lässt die Notizen, die sich ihr bebrillter Gott ohne Unterlass macht, noch mal in einem neuen Licht erscheinen.
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