Roman „Fremde Seele, dunkler Wald“: Ganz tief unten im Tal
Reinhard Kaiser-Mühlecker porträtiert stille Lebenskämpfe: Sein Roman „Fremde Seele, dunkler Wald“ ist für den Buchpreis nominiert.
Der Mensch ist dem Menschen ein Schrecken. Gegen diesen Schrecken hilft scheinbar nur, den Menschen zu meiden. Was meist wenig nützt. Selbst die, die sich, so gut es geht, von ihresgleichen zurückziehen, kommen von ihnen nicht los. Vor allem nicht von sich selbst.
Reinhard Kaiser-Mühleckers lakonisch-wuchtiger sechster Roman, „Fremde Seele, dunkler Wald“, bietet auf den ersten Blick ein gruseliges Szenario: eine Familie auf einem Hof in einem österreichischen Tal. Über das Gelände führt eine Autobahnbrücke, bloß das gelegentliche Dröhnen der Fahrzeuge erinnert an die Gegenwart anderer Menschen und hebt das Abgeschnittensein dieses Mehrgenerationenhauses nur umso deutlicher hervor.
Auch das Personal mutet wenig hoffnungsvoll an. Die beiden Brüder im Mittelpunkt der Handlung sind Einzelkämpfer, die nicht recht wissen, wofür sie eigentlich kämpfen. Alexander, der ältere, ein ehemaliger Priesteranwärter, hat sich beim Militär verpflichtet und ist im Ausland stationiert. Der andere, Jakob, wurde zu früh eingeschult, war auf der Hauptschule und verlor anschließend weitere Ambitionen. Er arbeitet schicksalsergeben auf dem väterlichen Hof.
Dieser Hof wird vom Vater, der sich von einem erfolglosen Spekulationsgeschäft ins nächste stürzt, stückweise verkauft, bis Jakob nur noch den Ausweg sieht, sich anderswo eine Arbeit zu suchen. Mit seinem Bruder kann er wenig anfangen, mit dem Vater ebenfalls nicht, die Großeltern und selbst die Mutter sind beiden Geschwistern fern. Die Schwester der Brüder lebt seit Jahren in Schweden, lässt immer weniger von sich hören.
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Kaiser-Mühlecker schildert vordergründig das, was man eine dysfunktionale Familie nennen könnte. Nach außen hin ist zwar das meiste in Ordnung – von der ökonomischen Lage des Vaters abgesehen –, im Inneren herrscht jedoch eine seltsame Leere. Diese Leere nehmen die Brüder auf ihren Gehversuchen ins eigene Leben mit sich. Alexander bleibt beim Heer ein Außenseiter, Jakob ist es auf der Arbeit, ebenso mit der Freundin, mit der er wie beiläufig zusammenkommt, obwohl sie eigentlich einen anderen liebt.
Wohldosierte Wechsel ins Poetische
Die Frauen sind in diesem Roman seltsam abwesend. Sie scheinen den beiden Brüdern von allen am unzugänglichsten, zugleich beherrschen sie ihre Leben gerade in ihrer Abwesenheit. Besonders Alexander wird durch eine Art „Fort da“-Spiel mit den Frauen, bei dem er konsequent auf Abstand bleibt, lediglich Affären einzugehen bereit ist, schließlich in eine heftige Krise gestürzt.
„Fremde Seele, dunkler Wald“ ist dabei weit mehr als ein Familienroman. Man kann ihn am ehesten als eine Reflexion über das Leben als Gefängnis lesen, über die Not, sich mit dem Gegebenen zurechtzufinden, und über die Sprache, die fehlt, um die eigenen Ketten, die einen festhalten, zumindest anders zu sortieren und so etwas wie eine neue Richtung auszuprobieren – und sei es bloß, aufeinander zu.
Kaiser-Mühleckers altertümliche Sprache beschwört dazu in ihrer nüchternen Bildhaftigkeit die oberösterreichischen Landschaften wie von selbst herauf, lässt einen in der detailgenauen Schilderung so alltäglicher Verrichtungen wie dem Melken von Kühen oder der Beschreibung der Funktionsweise eines Wasserwidders, eines wassergetriebenen Pumpsystems, sehr nah bei seinen Protagonisten sein, wie um den Kontrast zum Entferntsein der Personen voneinander nur noch schärfer zu fassen.
Seine mitunter gewundenen Sätze nutzt er gern wie ein optisches Medium: Wenn sich der Sinn der Aussage beim Lesen nach und nach herausschält, ist es, als würde Kaiser-Mühlecker langsam an das Geschehen heranzoomen. Und ganz selten, höchst wohldosiert wechselt seine schlichte Sprache zwischen den Kommata ins Poetische, fast, als würde es ihm unbewusst unterlaufen.
Reinhard Kaiser-Mühlecker: „Fremde Seele, dunkler Wald“. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016, 304 Seiten, 20 Euro
Auch das scheinbar flächendeckende Elend der Handlung weiß Kaiser-Mühlecker geschickt zu punktieren, baut immer dann, wenn die Trostlosigkeit überhandzunehmen droht, Spannungsmomente ein, gestattet seinen Figuren vereinzelt eine Verschnaufpause und spielt virtuos mit dem Anbahnen von Unheil, bei dem man nie ganz weiß, ob es zuschlagen wird oder nicht.
Auch ob es Erlösung für die Figuren gibt – Religion wird in verschiedenen Varianten im Leben der Brüder in Erscheinung treten – bleibt bis zum Ende offen. Und ganz gleich, was den Figuren zustößt, bleibt man von ihren archaisch anmutenden Schicksalen gebannt. Man möchte mit ihrer Welt nicht tauschen. Und man erschrickt, wenn man erkennt, dass sie einem näher sind, als einem lieb ist.
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